In leicht übersteigertem Bewusstsein für eigene historische Größe lässt sich Wolfgang Schüssel ausgerechnet zu einer Zeit inseratenmäßig als die Inkarnation der Republik Österreich vermarkten, in der er nur noch der Masseverwalter einer auslaufenden Regierung ist. Die kognitive Dissonanz erklärt sich aus der Notwendigkeit, einen Wahlkampf zu führen, dessen Vorzeitigkeit das Einbekenntnis des Scheiterns enthält und in dem der Flop des schwarz-blauen Experiments durch die manichäische Zuspitzung "Hie die staatliche Ordnung, dort das rot-grüne Chaos" kaschiert werden soll.Die beabsichtigte Wirkung dieses doch etwas verkrampften Kontrastes dürfte sich kaum einstellen, erst recht nicht - ohne den deutschen Einfluss überschätzen zu wollen - nach dem letzten Sonntag. Das Bemühen der schnellen Einseiftruppe des ÖVP-Wahlkampfteams, in den Gehirnen der Wählerinnen und Wähler die Assoziation "Schüssel = Österreich" von Anfang an so fest zu etablieren, dass dessen Wahl als vaterländische Front gegen das Böse an sich erscheinen muss, wird vom Treiben des blauen Partners konterkariert, das täglich daran erinnert, wer Österreich das letztlich eingebrockt hat. Schüssel wäre in der Rolle, die ihm da auf den Leib geschneidert werden soll, noch eher glaubwürdig, hätte er neben der von ihm angestrebten Fortsetzung der Wende auch realistischere Modelle für die Zeit nach dem 24. November anzubieten. Das ist nicht zu erkennen, geht man von dem Interview aus, das er am Wochenende dem STANDARD gab. Weniger aus rechnerischen Gründen, denn schließlich ist es naturgesetzlich nicht auszuschließen, dass die ÖVP so viel zulegt, wie die FPÖ verlieren dürfte, sodass sich die schwarz-blaue Koalition ein zweites Mal ausgehen könnte. Zu hoffen muss jedem erlaubt sein. Was sich rechnerisch mit Sicherheit ausginge, eine rot-schwarze Koalition, lehnt Schüssel ab. Das wäre Stillstand und genauso lähmend wie früher, ist seine Meinung, womit er nicht nur einer allgemein verbreiteten Überzeugung beitritt, sondern auch die Großkoalitionäre der eigenen Partei in die Schranken weist (solange er dazu noch imstande ist). Sein Angebot an die Wähler, die schwarz-blaue Koalition fortzusetzen, erscheint aber insofern als eine Pflanzerei derselben, als er selber beim besten Willen nicht sagen kann, wie der Partner in näherer Zukunft, also bis zu dem Tag, an dem die Wähler ihre Entscheidung treffen sollen, aussehen wird. Seine Absicht, dennoch unverdrossen wieder eine Regierung mit der FPÖ zu bilden, erinnert daher eher an Helmut Qualtingers Wilden auf seiner Maschin' als an einen, der Staatsmann sein möchte: I hab zwar ka Ahnung, wo i hinfahr, aber dafür bin i schneller durt. Noch vager als Schüssels Hoffnung, die SPÖ zu überholen, ist jene auf eine "neue oder sich jetzt entwickelnde FPÖ". Wie sich diese Woche zeigte, wird es noch auf unabsehbare Zeit die alte sein. Ein Minister, der innerhalb weniger Tage ein Konzept für die österreichische Forschung präsentiert und widerruft, ein Mann, der innerhalb weniger Tage seinen Abschied aus der Politik verkündet und als Parteiobmann und Spitzenkandidat wiederkehrt, lässt plakatieren "Sein Handschlag zählt" - um sofort einen Fußtritt aus Klagenfurt einzustecken. Was immer sich da unter den Freiheitlichen entwickelt, es wird nichts Neues sein, solange der Spender des Fußtritts nicht endgültig aus der Politik verschwindet. Bis zu den Wahlen dürfte sich das nicht mehr ausgehen. Und wenn, wär 's erst recht verkehrt. Wer sollte denn jene blauen Stimmen bringen, die Schüssel braucht, um weiterhin - wenigstens im Eigeninserat - die Republik Österreich verkörpern zu dürfen? (DER STANDARD, Printausgabe, 25.9.2002)