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Daniel Goldhagen

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Kardinal Karl Lehmann, Bischof von Mainz

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Bonn – Der umstrittene US-Politologe Daniel J. Goldhagen hat der katholischen Kirche ideologische und praktische Unterstützung des Holocausts vorgeworfen. "Die Kirche und ihr Klerus haben in ganz Europa unbestreitbar viele Verbrechen gegen die Juden begangen und unterstützt", sagte Goldhagen laut Kathpress in einem am Dienstag im Voraus veröffentlichten Interview des Magazins "stern". Durch ihren Jahrhunderte alten Antisemitismus habe sie dem Massenmord den Weg bereitet und durch ihr Schweigen das Verbrechen nicht verhindert. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, wies die Vorwürfe ebenfalls im "stern" zurück. Bis zu 80 Prozent der im deutschen Machtbereich überlebenden 900.000 Juden seien von kirchlichen Einrichtungen gerettet worden.

Goldhagen, dessen Buch "Die katholische Kirche und der Holocaust" demnächst in Deutschland erscheint, wirft der Kirche vor, dass sie diesen Teil ihrer Geschichte bis heute bemäntelt und etwa umstrittene Päpste wie Pius IX. und Pius XII. selig spreche. Er forderte eine moralische Abrechnung mit dem Verhalten während der Nazi-Zeit.

Die Kirche in Deutschland habe "sogar aktiv und willig" geholfen, die Rassengesetze durchzusetzen, indem sie Zugang zu Abstammungsurkunden aus Kirchenarchiven gewährte. Darüber hinaus hätten Kirchenrepräsentanten die Rassengesetze in zahlreichen Ländern Europas befürwortet. "Viele Kleriker waren jedenfalls Komplizen," so Goldhagen, der in seinem ersten, 1996 erschienenen Buch "Hitlers willige Vollstrecker" behauptete, der Judenhass sei tief in der deutschen Tradition verwurzelt gewesen.

Der 1959 in Boston geborene Autor räumte ein, dass katholische Geistliche und Laien vielen Juden geholfen hätten. Eine Kollektivschuld der Kirche sei abzulehnen. "Katholische Geistliche haben vermutlich mehr Juden versteckt als Vertreter jeder anderen Institution", erklärte er. Dennoch seien es gute Taten einer Minderheit geblieben.

Lehmann warf Goldhagen vor, die "Perioden friedlichen Zusammenlebens" zwischen Christen und Juden völlig zu übersehen. Darüber hinaus habe sich die katholische Kirche mehrfach für Versagen entschuldigt, beispielsweise in der Vergebungsbitte von Papst Johannes Paul II. zum Jahr 2000. Er räumte ein, man könne bedauern, dass Pius XII. den Mord an den Juden nicht öffentlich angeklagt habe. Allerdings habe eine entsprechende Intervention der niederländischen katholischen Bischöfe zum Tod von noch mehr Juden geführt.

Der Kardinal nannte es erschreckend, dass die damaligen Bischöfe die Bedeutung der Menschenrechte nicht im heute üblichen Maße erkannt hätten. Lehmann befürwortete eine vollständige Öffnung der Vatikan-Archive für diesen Zeitraum: "Ich bin sicher, es würde sich dann auch viel Entlastendes für die Kirche finden", sagte er.

Im Zusammenhang mit der aktuellen Antisemitismusdebatte in Deutschland fordert der Mainzer Bischof eine Intensivierung des Dialogs zwischen Christen und Juden: "Leider gibt es nach wie vor einen antisemitischen Bodensatz im Volk. Wenn ich zum Beispiel etwas Versöhnendes in Bezug auf die Juden sage, bekomme ich immer noch viele fragwürdige Reaktionen, die meisten davon anonym und antisemitisch". (APA)