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Norman Mailer

Foto: APA/EPA/David Cheskin
Wien - Übergangsepochen - wir verspüren es gerade selbst - sind meist Zeiten, in denen in der Kunst "unreine", brüchige Elaborate eher Suchbewegungen vollziehen, als aus gesicherter Perspektive kristalline Formen zu entwickeln. In Frankreich nach den napoleonischen Kriegen bedurfte es etwa erst der mitunter grob gedrechselten Romane von Dumas, Hugo oder Balzac, bis ein Gustave Flaubert sich der Erziehung des Herzens zuwenden konnte. In den USA nach dem Zweiten Weltkrieg war die Lage ähnlich. Auch den Literaturbetrieb prägten Veteranen, Marodeure, Spekulanten, eingebettet in eine Boheme, die sich (siehe James Jones oder Truman Capote) gern mit den Pariser Vorbildern vergangener Zeiten verglich. Gleichzeitig dominierte etwa in Reportagen (Stichwort: new journalism ) oder ausufernden Prosaepen (bis heute hält die Suche nach der Great American Novel an) ein unruhiger Blick. Ein Handkamera-Gestus, wenn man so will, der limitierte Mittel mit Direktheit wettmachte. Ein Hang zur Herablassung, der gleichzeitig nicht davor Halt machte, in Subkulturen und Drogenexzesse einzutauchen. Norman Mailer war eine zentrale Figur und Stimme in dieser Bewegung. Dass er meistens nur für seinen ersten Roman Die Nackten und die Toten (1948), sein Marilyn- Monroe-Porträt und seine Reportage The Fight (über den WM-Boxkampf Ali vs. Forman in Kinshasa) gewürdigt wurde, wird seinem voluminösen Werk in allen Hochs und Tiefs nicht gerecht. Es ist aber auch Folge einer verworrenen Publikationspraxis im deutschen Sprachraum, die es unmöglich macht, ein solches Werk kompakt verfügbar zu halten. Es sei hier nur an Mailers exzellenten Apollo-11-Bericht A Fire on the Moon (1970) erinnert, wie überhaupt an ein umfangreiches "dokumentarisches" Oeuvre - bis herauf zu einem Vanity Fair -Interview mit Madonna, in dem er Facetten des damals wegen Erotica heftig umstrittenen Superstars wie kein anderer zutage förderte. Oder: Mailers The Executioner's Song (1979), basierend auf Interviews mit dem Doppelmörder Gary Gilmore, ist neben Capotes Kaltblütig das vielleicht bedeutendste Werk im Genre der so genannten True-Crime-Fiction. Dass Mailer auf der Basis seines Thrillers Tough Guys Don't Dance (1983) auch einen trashigen Spielfilm mit Ryan O'Neal inszenierte - dem sei hier auch hinzugefügt, dass er einer der ersten Schriftsteller war, die das New American Cinema für sich entdeckten. Und: Der Mann schrieb immerhin am Drehbuch für Jean-Luc Godards Lear -Film mit! Längere Antworten

Auch das Alterswerk Mailers, das - ähnlich dem seines Lieblingsfeindes Gore Vidal - zunehmend Cinemascope- Blicke auf die US-Geschichte und Gegenwart anstrebt, bietet in all seiner schmökerhaften Überfülle wertvolles Material. Die CIA-Satire Harloth's Ghost widerspricht im Umfang und in der Auslotung uneinsehbarer Verschwörungen bewusst einer Haltung, die Mailer gestern in Wien definierte: "Wir Amerikaner sind einfache Leute, die keine Frage vertragen, deren Beantwortung mehr als zehn Sekunden braucht. Wir haben einen Präsidenten, den wir verdienen." Die Laudatio auf den heute 79-jährigen Autor hielt bei der Verleihung des "Österreichischen Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse" übrigens Günther Nenning. Das passt sowohl zur Skurrilität gerade dieser Auszeichnung für gerade diesen Künstler als auch zur Tatsache, dass Mailer mit Krone - Chef Hans Dichand seit Jahren an einem neuen Sisi -Drehbuch arbeitet. Nenning: "Wie die beiden zusammenpassen, weiß ich nicht. Aber ich staune nicht, denn ich traue beiden alles zu." Und, so die Agenturen: "Auch Bundeskanzler Schüssel freut sich über das Projekt." Früher hätte Mailer gegen solche Anbiederungen an Medien bärbeißige Polemiken geschrieben. (DER STANDARD, Printausgabe, 27.9.2002)