Foto: Verlag

In Zeiten des politischen Tempelhupfens ist es durchaus reizvoll, die Tagebuchschreiberin Streeruwitz auf ihre prophetischen Fähigkeiten hin zu überprüfen: "Die Gelegenheit, sich in Wahlen zu messen, wird man ihr nicht lassen. (...) Und der Jörgl ist wieder da. Der Mann ist wieder im Haus. Und das Hausfrauli ist wieder nur Hausfrau." Das schrieb Streeruwitz unter dem Titel "Der Wiedergänger und sein Mündel" am 2. Mai 2000, und auch wenn die eiserne Vizekanzlerin nicht wirklich zum "Hausfrauli" taugt, so hat die Autorin doch ins Blaue getroffen. Zumindest bis zum nächsten Rösselsprung. Bei der TV-Exegese fällt Streeruwitz für Riess-Passers Kropfband die modische Bezeichnung "Choker" ein, also "Ersticker": "Was sollte uns durch die Wahl dieses Halsschmucks gesagt werden?"

Ihr Tagebuch der Gegenwart ist ein Tagebuch der "Widerwart" im Sinne von Karl Kraus: Es umfaßt das erste Jahr der blauschwarzen Regierung, es stammt aus der Feder einer Autorin, der die Aufnahme der keineswegs stubenreinen Freiheitlichen in den demokratischen Salon widerwärtig ist, die sich mit aller Vehemenz gegen die Wende und die allzu Wendigen wendet. Auch "auf die Gefahr hin, humorlos zu erscheinen". Und dabei gelingt ihr doch manche höhnische Pointe. Bescheiden wähnt sie sich "in ein Stück von Elfriede Jelinek geraten", wo es ganz gut auch eines ihrer eigenen sein könnte. Verglichen mit Karl-Markus Gauß' Journal Mit mir, ohne mich, bewegt sich dieser Text näher und aufgeregter am politischen Geschehen, spricht doch die Stimme des Ich aus der Mitte jener wanderlustigen Opposition, deren Anliegen Gauß zwar respektiert, deren Galionsfiguren ihm aber suspekt sind. Streeruwitz, die in den "Donnerstagswanderungen" für sich so etwas wie einen utopischen Ort gefunden hat, wird bei der Beschreibung des kollektiven Spaziergehens geradezu lyrisch. In dem "kurzen Augenblick anarchischer Bezauberung bei der großen Demonstration am 19. Feber" sieht sie den Keim für eine neue politische Kultur: "Nur lächeln war da. Und keine Angst." Freilich teilt sie die Skepsis gegenüber den Selbstdarstellern des Protests: "Die Luc Bondys räkeln sich vor den Kameras. Die, die jeden Donnerstag Wandertag gehen. Zu Tausenden. Die kommen nicht vor."

Aus der Distanz von zweieinhalb Jahren mag manches übertrieben dramatisch erscheinen. Etwa Spekulationen über ein politisches Asyl in Deutschland. Aber wie hätten die Regierungsgegner und -gegnerinnen wissen sollen, dass sie die Liquidierung des Wendeprojekts getrost Jörg Haider hätten überlassen können? Und schon im September 2000 beurteilt Streeruwitz die Sanktionen der EU nüchtern als kontraproduktive Schützenhilfe für die Koalition.

Streeruwitz hat einen scharfen Blick für das Symbolische im Leben der Polis. Dennoch wirkt manches dick aufgetragen, was einer hypersensiblen Wahrnehmung entstammt. Immer geht es gleich um alles oder nichts. Wenn etwa ein ORF-Sportreporter sagt, "die Slowenen" hätten das Slalomfahren "im Blut", dann ist das zweifellos eine genretypische Dummheit. Für Streeruwitz enthält dieser Satz alles, "was ich fürchte". Er sei im Grunde ein Freibrief, alle Slowenen zu hassen.

Zum roten Faden der Politik flicht Streeruwitz manch anderes Strähnlein. Sie reflektiert ihre Amerika-Erfahrungen. Sie beschäftigt sich mit dem Literarischen Quartett in der "Verkeiltheit der ausgelaugten, sadistischen Dauerbeziehung" und denkt beim Kuchenbacken über den Qualitätsverlust bei Ö 1 nach. Sie setzt sich gründlich und sehr kritisch mit Raymond Carver und der Gattung der short story auseinander. Sie huldigt der schönen E-Mail-Schlamperei und singt ein Lob des Verschreibens, um diese Technik sogleich beim Namen des angesprochenen Abendlandwächters Thomas Steinfeld anzuwenden. Man kann durchaus einräumen, dass Kraut und Rüben ja gar nicht schlecht zusammenpassen.

Um dem Band etwas mehr Körper zu geben, hat man ihm auch Interviews einverleibt, in denen Streeruwitz im O-Ton, also unstilisiert, nachzulesen ist. Und dann finden sich noch einige englische Texte, auf deren Übersetzung Autorin und Verlag merkwürdigerweise verzichtet haben - darunter eine längere kulturgeschichtliche Abhandlung mit dem prägnanten Titel "Dirndl as a text". Streeruwitz' leidenschaftlicher Feldzug gegen die "Niedertracht" enthält neben interessanten Aufschlüssen über die modische Signalwirkung der Salzburger Festspiele und das Umfunktionieren von Körpertexten je nach politischer Lage und politischem Lager auch den rätselhaften Satz: "1934 Max Reinhardt directed the Faust in the Dirndl." Da fällt einem unweigerlich Hans Weigels Anekdote über Ingeborg Bachmann ein: Ein Dirndl seiner Mutter, das er der Freundin von einem Besuch aus den USA mitbrachte, habe bei ihr helles Entzücken ausgelöst: "Jö, ein jüdisches Dirndl!" (Daniela Strigl/DER STANDARD; Printausgabe, 21.09.2002)