Europa
Italien: Epifani übernimmt Führung der GCIL-Gewerkschaft
Nachfolger des mächtigsten Gewerkschaftschef gewählt - Zweiter Generalstreik am 18. Oktober beschlossen
Rom - Für die italienische Gewerkschaftsorganisation CGIL
ist am Freitag die Ära von Sergio Cofferati zu Ende gegangen. Der
mächtigste Gewerkschaftschef Italiens, der in den letzten Monaten mit
seiner massiven Streikkampagne die Regierung Berlusconi stark unter
Druck gesetzt hatte, ist am Freitag zurückgetreten. Seit 1994 stand
er an der Führung des stärksten Gewerkschaftsverbands im Land. Zu
seinem Nachfolger wurde einstimmig die "Nummer zwei" der
Organisation, Guglielmo Epifani, gewählt. Der CGIL-Vorstand
bestätigte den 18. Oktober als Termin für den zweiten Generalstreik
gegen die Arbeitsrechtsreformen der Regierung Berlusconi innerhalb
von sechs Monaten.Kür in heikler Phase
Der 52-jährige Epifani, gebürtiger Römer, übernimmt das Zepter der
fünf Millionen starken Arbeitnehmerorganisation in einer durchaus
heiklen Phase. Die Beziehungen zur Regierung sind nach dem zweiten
Aufruf zum Generalstreik nach jenem am 16. April durchaus gespannt.
Der Konflikt mit den Schwesterorganisationen CISL und UIL, die im
Gegensatz zur CGIL einen umstrittenen "Pakt für die Entwicklung
Italiens" mit der Regierung unterzeichnet haben, bleibt offen,
während die Verhandlungen um neue Kollektivverträge für mehrere
Berufskategorien stagnieren.
Doch Epifani lässt sich nicht entmutigen, Herausforderungen sind
eine Konstante im Leben des promovierten Philosophen, der 1974 nach
einer kurzen Phase als Universitätsassistent am Institut für
Zeitgeschichte in Mailand eine Stelle in der Verlagsgruppe der CGIL
bekam und seitdem eine steile Karriere bis zur Spitze des
italienischen Gewerkschaftsimperiums hinter sich gelegt hat.
Seit 1992 Nummer zwei der Gewerkschaft
Dank seiner Studien über europäische Arbeitsrechtssysteme kam er
mit dem "Vater" des italienischen Arbeiterstatuts Gino Giugni in
Kontakt, der ihn 1979 überzeugte, politische Aufträge in der
Gewerkschaftsorganisation zu übernehmen. In jenen Jahren begann auch
die Zusammenarbeit mit der langjährigen Nummer eins des Verbands,
Bruno Trentin. Wegen seines diplomatischen Talents und seiner
Dialogfähigkeit wurden Epifani mehrere heikle Verhandlungsrunden
anvertraut. 1991 wurde er von Trentin in den CGIL-Vorstand
einberufen. Seit 1992 ist er die Nummer zwei der Organisation.
Der achtstündige Generalstreik am 18. Oktober ist ein
entscheidender Test für den "Philosophen", der die Italiener trotz
der Spaltung mit den Schwesterverbänden überzeugen muss, wieder
einmal gegen Berlusconi die Arbeit niederzulegen. Zugleich wird es
Epifani nicht leicht haben, auf den Spuren Cofferatis zu wandeln, der
in den letzten Monaten den Höhepunkt seines Erfolgs erreicht hat und
bei der Demonstration gegen die Regierung Berlusconi am vergangenen
Wochenende in Rom der meist umjubelte Vertreter der Linken gewesen
ist.
Cofferati-Abschied am Samstag
Cofferati wird sich am Samstag vor rund 3.000 Delegierten von der
CGIL verabschieden und eine letzte Rede halten. Der "Herr des
Streiks", wie er in Italien wegen seiner scharfen Kampagnen gegen die
Arbeitsmarktreformen der Regierung Berlusconi bezeichnet wird, will
im Oktober an seinen alten Arbeitsplatz als Angestellter des
Mailänder Reifen- und Kabelkonzerns zurückkehren, den er vor 26
Jahren verlassen hatte.
Der 54-jährige "Chinese" wie er wegen seiner markanten Augen
bezeichnet wird, bestritt heftig, dass er einen Einstieg in die
Politik als Oppositionsvertreter plane, wie man in Regierungskreisen
spekuliert. Er werde sich an der Spitze der römischen Stiftung "Di
Vittorio" weiterhin um arbeitsrechtliche Themen kümmern, in die
Politik wolle er im Gegensatz zu anderen seiner prominenten Kollegen
wie der derzeitige Chef der altkommunistischen "Rifondazione", Fausto
Bertinotti, nicht einsteigen. Politische Beobachter glauben ihm
jedoch nicht. Ihrer Ansicht nach steht Cofferati eine neue Karriere
in der oppositionellen Mitte-Links-Allianz bevor. Er werde nicht lang
von der Öffentlichkeit fern bleiben, behaupten sie.(APA)