Geschlechterpolitik
Erfahrungen einer Ex-Kindersoldatin
Gleichzeitige Täter- und Opferrolle ist schwer zu verkraften - UNICEF fordert zum Handeln auf
Berlin - "Ich kann noch immer die Augen der am Boden
liegenden Feinde sehen. Sie baten, nicht zu töten, aber ich konnte
nicht helfen." Wenn die heute 26-jährige, aus Uganda stammende China
Keitetsi über ihre Erfahrungen als Kindersoldatin erzählt, muss sie
immer wieder weinen. Sie war neun, als sie von Rebellenkämpfern
aufgegriffen und in den Kampf geschickt wurde. Krieg war ihr Leben -
zehn Jahre lang. Dann gelang die Flucht, heute lebt sie in Dänemark.
Um die traumatischen Erfahrungen zu verarbeiten, schrieb sie ein
Buch.Biographie des Schreckens
Am Donnerstag, einen Tag vor dem Weltkindertag, stellte Keitetsi
ihre Biografie "Sie nahmen mir die Mutter und gaben mir ein Gewehr" in Berlin vor. Erstmals habe eine Betroffene ihre
Geschichte aufgeschrieben, sagt Dietrich Garlichs, Geschäftsführer
von UNICEF Deutschland. Dass dies höchste Zeit war, verdeutlichen
Zahlen.
Nach Schätzungen des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen
kämpfen mehr als 300.000 Buben und Mädchen in rund 40 Staaten der
Erde in Regierungsarmeen oder bewaffneten Gruppen, mehr als ein
Drittel davon auf dem afrikanischen Kontinent. Die Kinder werden
misshandelt, unter Drogen gesetzt und zu Gewalttaten gezwungen.
Weibliche Kindersoldaten dienen häufig als Sexsklavinnen. Selbst wenn
ihnen die Flucht gelingt, leiden sie ihr Leben lang an den
traumatischen Erfahrungen, haben Depressionen, Selbstmordgedanken,
Schlafstörungen und Angstzustände.
Täter und Opfer zugleich
Diese Kinder trügen physische und psychische Schäden davon, da sie
Opfer und Täter zugleich seien. "Sie lernen zu foltern und zu töten
und werden gleichzeitig ausgebeutet", erklärt Garlichs. Deswegen
müsse der Einsatz von Kindern als Soldaten international verboten und
geächtet werden. "Der Missbrauch von Kindern für den Krieg ist eine
der schwersten Menschenrechtsverletzungen." Darauf will auch Keitetsi
aufmerksam machen, am besten die ganze Welt. Schließlich dulde diese
die Verbrechen gegen Kinder. Dabei könnte es so schön sein, wenn es
alle Kinder so gut hätten wie beispielsweise die in Dänemark. "Dort
sterben nur alte Leute, keine Kinder", sagt die selbstbewusste Frau.
Wie gerne hätte sie nur ein klein bisschen von der Liebe und
Geborgenheit empfangen, die Buben und Mädchen in ihrer neuen Heimat
zuteil wird. Und dass alle Familien dann auch noch Telefon, Fernseher
und sogar einen Kühlschrank in ihrem Haus hätten, habe sie bei ihrer
Ankunft sehr erstaunt.
Sie dagegen floh als Neunjährige aus ihrem gewalttätigen
Elternhaus und wurde von Rebellen aufgenommen. Ein Ausbilder nannte
sie wegen ihrer Schlitzaugen China. Ihre Freunde wurden auf die Namen
Rambo und Suicide getauft. Dann ging es an die Front. Geschosse
flogen ihr um die Ohren, danach zog sie den toten Feinden Uniform und
Schuhe aus. Auch Schießen musste sie. "Mein Gewehr war ich - und ich
war mein Gewehr, damit konnte ich alles tun", erzählt sie. Das Weinen
verlernte sie im Angesicht des Todes. Für Tränen gab es einfach keine
Zeit. "Die Angst vor dem völligen Zusammenbruch hielt mich davon ab",
sagt sie.
Wie so viele andere Mädchen musste auch sie Vergewaltigungen
ertragen. Beinahe noch schlimmer war jedoch, dass ständig Kameraden
und Freunde fielen und sich auch selbst umbrachten. "Sie starben für
nichts", sagt sie. Die Freiheit, die die Rebellen predigten, habe nie
existiert. Keitetsi ist deprimiert: "Ich bin jetzt hier, ich esse,
ich liebe, aber meine Kameraden sind immer noch da." Ihr größter
Wunsch sei, dass niemand das durchmachen müsse, was sie selbst erlebt
habe.
Trotz der immer wieder aufflackernden Erinnerungen an die düstere
Vergangenheit ist die junge Frau auch optimistisch. In Dänemark macht
sie eine Ausbildung zur Sozialarbeiterin und arbeitet in einem
Kindergarten. "Das ist eine gute Sache für mich, weil mich Kinder nie
verletzt haben", sagt sie. Und schließlich habe sich auch ihr Herz
verändert. Dieses sei bei ihrer Ankunft in Europa zunächst noch
voller Hass gewesen. Doch dann habe es da so viel Menschen gegeben,
die ihr helfen wollten. "Jetzt habe ich ein Herz voller Liebe." (APA)