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Chinas Premier.

Foto: APA/ EPA/ Kerim Okten
Dass er mehr als einmal im Lauf seines langen Marschs durch die Institutionen der Partei mit Chinas orthodoxen Kommunisten zusammenstieß, einmal wenigstens aus der Bahn geworfen wurde, es am Ende aber doch noch zum Regierungschef brachte, hat Zhu Rongji Ansehen bei den Chinesen wie im westlichen Ausland verschafft: Mehr als ein Jahrzehnt lang war er der eigentliche Steuermann der chinesischen Wirtschaft. Nun steht der 73-jährige Reformer, der jetzt seine wohl letzte Europareise mit einem Besuch in Österreich beginnt, vor seinem Abschied von Partei und Politik: Beim Parteitag im November soll er zusammen mit Staats- und Parteichef Jiang Zemin und Parlamentspräsident Li Peng abtreten. In einem halben Jahr vielleicht könnte dann wohl der 59-jährige Vizeregierungs- chef Wen Jiabao sein Nachfolger werden. Zhus Erfolgsstory ist Schanghai. Als Oberbürgermeister und KP-Chef von 1988 bis 1991 führte er die Hafenstadt mit 16 Millionen Einwohnern aus der Krise und schuf die Grundlage für den Wirtschaftsboom in der Sonderzone, wo nicht mehr allein die Gesetze der sozialistischen Planwirtschaft galten. Der "chinesische Gorbatschow" legte sich dazu einen internationalen Beraterstab zu, dem auch Vorstandsmitglieder aus dem Westen von Fiat oder Renault angehörten. Ohne Seilschaften in der Partei wie in der Armee, aber unterstützt von entscheidenden Mentoren - Deng Xiao Ping hatte ihn 1992 ins Politbüro geschoben, Jiang Zemin zuvor nach Schanghai geholt -, setzte Zhu Rongji marktwirtschaftliche Reformen in China durch und brachte dem Land in den 90er-Jahren zweistellige Wachstumsraten. Der als nach außen charmant, aber in Parteisitzungen als scharfzüngig beschriebene Zhu hat sich in der Bürokratie viele Feinde gemacht. Weil er während der Zeit der "Hundert Blumen" Mao Zedongs Aufforderung zu "wohlmeinender Kritik" allzu wörtlich nahm, wurde er 1957 gar als Rechtsabweichler aus der Partei ausgeschlossen. In der offiziellen Zhu-Biografie klafft deshalb zwischen 1958 und 1975, als er zurückberufen wurde, eine Lücke. Verheiratet ist der fließend Englisch sprechende Zhu seit Studienjahren mit Lao An, die, wie er selbst, Ingenieur ist. Sie haben zwei Kinder, eine Tochter, die in Kanada studierte und sich dort niederließ, und einen Sohn, der seine Ausbildung in Amerika erhielt. "Ich bin zu alt", soll der Reformer Anfang des Jahres gesagt haben. Als er beim Volkskongress im März vor 3000 Delegierten seinen Bericht zur Lage der Nation abgab, fehlte manchen Zuhörern der Biss von früher. Traurig meinte ein Zuhörer später: "Er wirkte so ruhig. So wie alte Leute, die alles durchschauen." (Markus Bernath/DER STANDARD, Printausgabe, 20.9.2002)