Über den "Fall X" wurde in der SPD in den vergangenen Monaten nicht offen gesprochen. Mit Schulterzucken reagieren die meisten SPD-Politiker auf die Frage, wer im Falle einer Wahlniederlage die Führungsrolle übernehmen soll. Denn nach dem Abgang von Oskar Lafontaine und Rudolf Scharping kommen Gerhard Schröders Rivalen nicht mehr als Ersatz in Betracht. Einen Kronprinz, der sich als Schröders Nachfolger aufdrängt, gibt es aber nicht.Dass sich Schröder aus der aktiven Politik zurückzieht und dann einen Job in der Wirtschaft annimmt, falls er nicht mehr Bundeskanzler wird, gilt als sicher. Als Vizekanzler etwa in einer großen Koalition unter Unionsführung stünde er nicht zur Verfügung. In diesem Fall würde wohl der bisherige Finanzminister Hans Eichel einspringen, der als solide, aber nicht gerade als Hoffnungsträger gilt. Mit seinen fast 61 Jahren kommt er auch nur als Übergangslösung in Betracht. Als mögliche Variante wird noch die Übersiedlung von Wolfgang Clement, bisher Ministerpräsident im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen, von Düsseldorf nach Berlin gehandelt. Er ist angriffslustiger als Eichel und könnte auch als Oppositionsführer im Bundestag fungieren, gilt aber wegen seines Alters - im Dezember wird er 62 Jahre - auch nur als Interimslösung. Junge Hoffnungsträger Als Zukunftshoffnung werden der niedersächsische Ministerpräsident Sigmar Gabriel und Brandenburgs neuer Ministerpräsident Matthias Platzeck bezeichnet. Allerdings wird beiden nicht zugetraut, schon jetzt die Verantwortung als Parteichef oder die Rolle des Oppositionsführers zu übernehmen. Der 42-jährige Gabriel hat ein Gespür für populistische Themen und regiert in Niedersachsen mit absoluter Mehrheit. Der bullige Politiker gilt als sehr durchsetzungsfähig und macht mit seiner Lust am Formulieren hin und wieder auch Schröder Ärger, der aber zu den Förderern seines Nach-Nachfolgers in Niedersachsen zählt. Der 48-jährige Platzeck, der sich in der Flutkatastrophe wie beim Oder-Hochwasser erneut als "Deichgraf" profilierte, muss sich als Regierungschef in Brandenburg erst noch bewähren. Er gilt als feinsinnig mit hohen Sympathiewerten, hat aber durch Regierungsumbildungen nach seinem Amtsantritt im Sommer auch "Macherqualitäten" erkennen lassen. Parteiintern bestreitet niemand, dass eine Wahlniederlage die Partei in größere Turbulenzen bringen würde als die CDU 1998, in der Wolfgang Schäuble als Kronprinz von Helmut Kohl seit Jahren für die Nachfolge bereitstand. In diesem Fall wird sich auch als Nachteil erweisen, dass sich die SPD stramm auf Kanzlerkurs trimmen ließ. (DER STANDARD, Printausgabe, 20.9.2002)