Dabei hätten einige ökonomische Denkanstöße im Wahlkampf nicht nur den Deutschen gut getan. Die Probleme der früheren Konjunkturlok - Nullwachstum, hohe Arbeitslosigkeit, Budgetkrise und ein wackeliges Pensionssystem - strahlen auf die Nachbarn aus, untergraben das Vertrauen in den Euro und desavouieren das europäische Gegenmodell zu dem durch Bilanzskandale ins Zwielicht geratenen US-Kapitalismus.
Was läuft falsch im ehemaligen Wirtschaftswunderland? Die erste Antwort lautet: die Wiedervereinigung. Zwölf Jahre danach überweisen die Westdeutschen immer noch zig Milliarden an Transfers und Subventionen in den Osten, ohne dass dort die Landschaften aufblühen. Die Folgen für das ganze Land sind eine erdrückende Steuerlast, niedrige öffentliche Investitionen und dennoch ein zu hohes Defizit.
Das Problem des Ostens ist großteils selbst gemacht - ausgehend vom damaligen gemeinsamen Entschluss der Regierung Kohl und der Gewerkschaften, die neuen Länder trotz niedriger Produktivität rasch an das Lohnniveau und Sozialstandards des Westens heranzuführen. Die Folge ist eine teure, aber arbeitslose Rentiergesellschaft, die von den ärmeren Osteuropäern mit ihrem dynamischen Wachstum rasch überholt wird.
Diese Fehler spiegeln die Unzulänglichkeiten Westdeutschlands wieder. Wirtschaft und Gesellschaft sind dort nicht nur inflexibel, sondern auch überraschend ineffizient. Das hat zuletzt die vernichtende Pisa-Studie über die Qualität der Schulen gezeigt. Anders als die Sozialpartnerschaft in Österreich, den Niederlanden und sogar in Frankreich ist das deutsche System nicht wirklich konsens- und lösungsfähig. Der Arbeitsmarkt ist viel verknöcherter als in Österreich, wo Schutzbestimmungen leichter umschifft werden. Der Preis ist die hohe Arbeitslosigkeit, für die keine Regierung eine Antwort weiß.
Ausbruchsversuche aus dem Korsett des "Rheinischen Kapitalismus" sind fehlgegangen. Nirgendwo wurde so viel geschwindelt und gelogen wie am Neuen Markt, und kaum eine andere Börse ist zuletzt so tief gefallen. Als Reaktion flüchten noch mehr Deutsche in die "verbarrikadierte Gesellschaft (. . .), die fast jede Bewegung erstickt" (Die Zeit).