Wien - Seit Beginn der 90er-Jahre haben in Österreich immer wieder Politiker begehrliche Blicke auf die Währungsreserven der Oesterreichischen Nationalbank geworfen. Man könnte damit eine Steuerreform finanzieren, hieß es, die Staatsschulden verringern, einen Fonds zur Förderung von Forschung und Entwicklung dotieren oder die Mittel zur Katastrophenhilfe einsetzen. Schützenhilfe erhielten sie nun durch eine Studie des Instituts für Europafragen an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU), in der - DER S TANDARD berichtete - ein Drittel bis die Hälfte der Währungsreserven im Eurosystem, die rund 390 Mrd. Euro ausmachen, als überschüssig bezeichnet wird. Der Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank, Klaus Liebscher, bezweifelt zwar nicht die Seriosität dieser Studie, wirft den Verfassern aber vor, dass sie von einer Reihe unbewiesener Annahmen ausgingen. Es gebe keine Erfahrungen mit der "richtigen" Höhe der Währungsreserven. Es sei wie mit der Flughafenfeuerwehr: In ruhigen Zeiten fiele ihre Existenz kaum auf; bei Turbulenzen - wie zuletzt nach dem 11. September 2001 - sei man aber froh, dass man sie habe. Bedenken Gegen die teilweise Auflösung der Währungsreserven gebe es sowohl rechtliche als auch betriebswirtschaftliche Bedenken, meinte Liebscher. Seit 1999 seien die Reserven aller Notenbanken der Euroländer Bestandteil des Europäischen Währungssystems (Artikel 105 des EG-Vertrags) und könnten ohne Zustimmung der Europäischen Zentralbank (EZB) nicht veräußert werden. Ein solcher Schritt stehe - außer in Österreich - auch in keinem anderen Euro- land zur Diskussion. Sowohl im EG-Vertrag (Artikel 101) als auch im Notenbankgesetz sei außerdem das Verbot der Staatsfinanzierung durch die Zentralbanken festgehalten. Dass eine teilweise Verwendung der Währungsreserven auch betriebswirtschaftlich keinen Sinn mache, versuchte Liebscher mit zwei Beispielen zu untermauern. Erstens: Würden damit Staatsschulden getilgt, wäre das ein ausgesprochen schlechtes Geschäft. Denn die Veranlagung der Währungsreserven habe im Vorjahr eine Rendite von 5,5 Prozent erbracht - also deutlich mehr, als die Staatsschulden kosteten. Zweitens: 90 Prozent des von der Nationalbank mit den Währungsreserven erwirtschafteten Gewinns fließe ja schon in das Budget. Im Vorjahr seien das rund 1,5 Mrd. Euro gewesen. In den letzten zehn Jahren habe die Notenbank insgesamt elf Mrd. Euro (davon 4,2 Mrd. Euro als Körperschaftssteuer und 6,8 Mrd. Euro als satzungsgemäßen Bundesanteil) an den Finanzminister abgeliefert. Eine Schmälerung der Währungsreserven würde diesen Geldfluss ausdünnen. "Ohne Bezug zur Realität" Dass in der WU-Studie Währungsreserven des Eurosystems in Höhe von 130 bis 170 Mrd. Euro als "überschüssig" bezeich- net werden, ist für Liebscher eine theoretische Überlegung ohne Bezug zur Realität. Wenn Beträge dieses Ausmaßes auf die Finanz- und Kapitalmärkte kämen, würde das zu einem Inflationschaos und in Folge zu einer Gefährdung des Euro führen. Eine teilweise Zweckwidmung der Notenbankerträge ist für Liebscher diskutabel, er fürchtet aber, dass sich jeder Finanzminister dagegen wehren würde. (Günter Baburek, DER STANDARD, Printausgabe 18.9.2002)