Groß muss die Nervosität bei den deutschen Unionsparteien CDU/CSU sein, dass sie nicht einmal eine Woche vor der Wahl auf das Thema Zuwanderung zurückgreifen. Damit wirft Kanzlerkandidat Edmund Stoiber offenbar angesichts sinkender Umfragewerte in Panik die Strategie über Bord, sich tunlichst im Bereich der politischen Mitte zu bewegen und nur ja keine Themen am rechten Rand zu besetzen. Dabei ist er bisher ganz gut damit gefahren. Denn die Versuche der SPD-Wahlzentrale "Kampa", Stoiber als rechten Recken darzustellen, verfingen nicht. Da Stoiber seinen Kurs über Monate durchhielt, nützte sich auch die Floskel der politischen Konkurrenz ab, der CSU-Politiker habe Kreide in der Kehle.Die Union begibt sich nun, indem sie mit dem Schüren von Ressentiments gegen Ausländer auf Stimmenfang geht, auf ein gefährliches Terrain. Nachdem Bundeskanzler Gerhard Schröder die USA aus Wahlkampfgründen zum neuen Feindbild erkoren hat, setzt sein Herausforderer nun dagegen: Die Ausländer sind an allem schuld, an der hohen Arbeitslosigkeit ebenso wie an der Kriminalität. Damit macht er die Bemühungen seines Beraters Michael Spreng, der gerne von einem "neuen Stoiber" spricht, zunichte. Es präsentiert sich wieder der alte Stoiber. Die eigenen Erfahrungen sollten CDU/CSU eines Besseren belehren: In Hessen machte Roland Koch vor drei Jahren gegen die doppelte Staatsbürgerschaft mobil und gewann die Wahl. Dann kopierte ihn in Nordrhein-Westfalen Jürgen Rüttgers, der mit dem Slogan "Kinder statt Inder" gegen die Greencard zu Felde zog. Er scheiterte ebenso wie Christoph Böhr in Rheinland-Pfalz. Durch den neuen Rechtsruck könnten sich bürgerliche Wähler eher verprellt fühlen und zur FDP wandern. Stoibers Strategiewechsel ist auch für ihn selbst gefährlich. (DER STANDARD, Printausgabe, 17.9.2002)