Eigentlich müsste man von Jörg Haider annehmen, dass er ein Politprofi ist. Immerhin seit 26 Jahren hauptberuflich in der Politik tätig, bereits das zweite Mal Landeshauptmann, war 15 Jahre Parteiobmann, hat Regierungsverhandlungen geführt, war im Koalitionsausschuss, hat eigentlich alles erlebt. Er hat die Partei von knapp fünf auf 27 Prozent geführt. Derzeit führt er sie wieder zurück.Steckt da Absicht dahinter? Man müsste schon ein paranoider Weltverschwörer sein, um hinter den extremen Kehrtwendungen der vergangenen Wochen eine klare Strategie vermuten zu wollen. Es ist doch auch möglich, dass Haider Probleme im privaten, menschlichen Bereich hat, dass er unter Stimmungen und deren rascher Abfolge leidet. In Österreich sind einer Studie zufolge etwa 800.000 Menschen schwer depressiv. Immer mehr Beobachter ziehen diese Vermutung als Erklärungsmuster für die Sinneswandel des Kärntner Landeshauptmannes heran. Andererseits: Seinen vorerst letzten Rückzug (Samstag, 14. September, 14.39 Uhr) könnte man auch als Reaktion auf die verschärften Meldungen einiger ÖVP-Granden interpretieren. Es ist zwar undankbar, Haiders Verhalten einer politischen Analyse zu unterziehen, weil diese spätestens zwei Tage später widerlegt scheint - meist durch Haider selbst -, hier dennoch ein Versuch: Von Erwin Pröll über Josef Pühringer bis hin zu Herbert Sausgruber, unterstützt von maßgeblichen Vertretern der Wirtschaft und Industrie, hagelt es vehemente Einsprüche gegen die Einschätzung von Wolfgang Schüssel und Andreas Khol, wonach eine Fortsetzung von Schwarz-Blau denkbar sei - und denkbar sein müsse. Mit dieser FPÖ nicht, meinten die innerparteilichen Gegenstimmen zu Schüssels Offenhalten. Die Festlegung auf diese FPÖ erfuhr auch eine Präzisierung: nicht mit Haider und Stadler. Bitte, Volksanwalt Ewald Stadler ist zwar ein permanenter Störenfried und in Niederösterreich Obmannstellvertreter, offiziell hat er in der Partei aber keine Bedeutung. Offiziell hat nun auch Jörg Haider kein Amt und keine Funktion in der FPÖ. Mit seinem Rückzug vom Comeback hat der Kärntner Landeshauptmann die Türe zwischen FPÖ und ÖVP also offen gelassen. Da tun sich jene, die im Wahlkampf auf diese Karte setzen wollen, nun deutlich leichter. Die FPÖ braucht diese Karte. Für den Wahlkampf ist es von enormer Bedeutung, auch die Regierungsverantwortung einzubringen. Das geht aber nur, wenn zumindest eine theoretische Chance auf eine Fortsetzung der Regierungsarbeit besteht, sonst könnte man nur mit dem Scheitern der Koalition plakatieren. Ganz nebenbei tun sich auch Schüssel und Co leichter. Die FPÖ als Option auszuschließen - auch wenn viele gerade das als moralisch notwendige Festlegung einfordern - hieße, sich bedingungslos der SPÖ auszuliefern. Und das wäre taktisch nicht sonderlich klug. Von Glaubwürdigkeit redet hier ohnedies niemand mehr. Hat Haider also taktisch richtig gehandelt, lagen tatsächlich strategische Überlegungen seiner Entscheidung zugrunde und nicht bloß ein Rappel, der ihn wieder erwischt hat? Dagegen spricht nicht unbedingt die Wehleidigkeit, die aus Haiders Doch-nicht-Comeback-Aussendung rinnt, aber die ebenfalls darin enthaltene Andeutung, dass beim Abfangjäger-Geschäft nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sein könnte. Das wiederum spricht dafür, dass es sich Haider doch vorbehält, die FPÖ - oder wenigstens die "Wiener Partie" in die Luft zu sprengen. Zu einem Zeitpunkt, der ihm strategisch geschickt erscheint. Oder auch nur aus einer Stimmungslage heraus. Dass sich Haider nun von der Waffenlobby bedroht fühlt, mag aus seiner Sicht subjektiv wahr sein. Es fällt aber schwer, ihm das zu glauben. Nicht, weil es gänzlich absurd wäre, sondern weil es von Haider kommt: "Ich weiche der Gewalt" - eine neue Pirouette auf dem immer brüchiger werdenden Eis der freiheitlichen Politik. (DER STANDARD, Printausgabe, 17.9.2002)