Hat manchmal auch das Gefühl, sich über die Verhältnisse erheben zu können, so wirft doch jeder mühselige Schritt auf sich selbst zurück: Nanni Moretti in "La messa è finita".

Foto: Stadtkino
Foto: Stadtkino
Nanni Moretti zeigt in Italien, wie man ein politisches Szenario reflektieren und dabei auch Öffentlichkeit mobilisieren kann. In Wien läuft derzeit sein Spielfilm "La messa è finita".


Wien - Man stelle sich folgende Situation vor: Eine Gruppe heimischer Künstler und Intellektueller will sich, was in Österreich ja durchaus auch der Fall ist, nicht mit den gegebenen politischen und sozialen Konstellationen abfinden. Sie fordert, was hierzulande ebenfalls schon vorkam, auf zu Demonstrationen. Aber (und das war rund um den heimischen "Widerstand" bis dato eher nicht der Fall): Sie appelliert nicht nur an die übliche politisch korrekt definierte "Opposition" und grenzt Wähler rechtspopulistischer Parteien, die von ebendiesen mittlerweile auch enttäuscht sind, nicht aus.

Im Österreich dieser Tage wäre so ein Szenario nichts weniger als revolutionär. Man blickt also durchaus neidvoll hinüber nach Italien, wo eigentlich alles noch entsetzlicher ist. Aber wenn dort rund um den Filmemacher Nanni Moretti abseits der etablierten, aber hilflos agierenden links-liberalen Parteien plötzlich über alle Lager hinweg Hunderttausende Demonstranten gegen Berlusconi mobilisiert werden, dann fragt man sich schon: Welche Art von Kultur, welches Reflexionsniveau und wie viel Dialogfähigkeit geht hierzulande ab?

Im Fall von Moretti, der gegen Berlusconi quasi auch als unabhängiger Medienmacher überlebt, ist es besonders nahe liegend, diese Qualität an Erzählungen und Laufbildern festzumachen, wie sie etwa in Österreich praktisch nicht existieren. Komödien wohlgemerkt, die in Italien und mittlerweile in ganz Europa trotz starker Hochglanzkonkurrenz höchst erfolgreich sind und mit denen Moretti zu einem "unbequemen" Star wurde, wie es hierzulande nicht nur keinen gibt. Nein, bei uns ist ein Roland Düringer auch noch stolz darauf, sich als "Kulturbanause" deklarieren zu dürfen.

Alles bröckelt . . .

Im Wiener Stadtkino wird derzeit La messa è finita (1985) gezeigt. Und gerade an diesem Frühwerk Morettis ist ablesbar, warum sein unaufwendiger, ironischer Blick auf zerbröckelnde öffentliche und private Verhältnisse sofort als notwendig empfunden wurde.

"Alle Regisseure der italienischen Komödie erzählten von Milieus, die ihnen fern lagen", wird Moretti im Stadtkino-Programm zitiert: "Ein Arbeiter, ein Kleinbürger etc. Sie machten sich über Figuren lustig, deren Umfeld ihnen fremd war. Ich mache mich über Figuren und Milieus lustig, die mir sehr nahe sind, die ich sehr gut kenne. Man hat nicht das Recht, anderen gegenüber gemein zu sein, wenn man es nicht zuerst sich selbst gegenüber ist. Selbstironie ist ein Muss, auf die Gefahr hin, sich lächerlich zu machen."

Im Fall von La messa è finita ist es ein junger Priester, gespielt von Moretti - also auch Moretti selbst, der sich lächerlich macht. In der desolaten Peripherie Roms konstatiert er allerorten Überforderung - in seiner Familie; in seinem ehemals linksradikalen Freundeskreis, wo sich alle zunehmend in neurotische Privatheiten zurückgezogen zu haben scheinen; und in seiner kleinen Kirchengemeinde, wo etwa ein liberaler, mittlerweile verheirateter Ex-Priester sehr schnell zum reaktionären Macho mutiert.

Am verheerendsten gestaltet sich aber die Verwandlung, die Moretti durchmacht: Zunehmend weigert er sich - wie übrigens auch der Psychologe in Das Zimmer meines Sohnes -, seinen Aufgaben nachzukommen, zieht sich zurück auf kindische Beschimpfungen, die sowohl sein Amt als auch ihn selbst desavouieren. Im Beichtstuhl hört er nicht mehr zu. Irgendwann quittiert er die Ankündigung einer Taufe mit einem schroffen: "Das interessiert mich überhaupt nicht." Das Prädikat "liebenswertes Ekel" wird dieser Figur aber nicht gerecht, weil Moretti permanent klare Zuschreibungen verweigert: Mitten in den absurdesten Verstiegenheiten entwickelt er Klarsicht. Dann zerstört er wieder alles - etwa in verbalen Attacken, die vor Kindern nicht Halt machen.

Das heißt: In seinem Befund der Auflösung macht Moretti zuallererst vor sich selbst und der Klasse, die er repräsentiert, nicht Halt - durchaus im Sinne von Christoph Schlingensief: Das Problem bin ich selbst, also setze ich an zur Selbstdenunziation und -provokation. Daraus resultiert nicht zuletzt ein "verschobener" Blick, der mit konventionellen "realistischen" Perspektiven wenig gemein hat. Jede Begegnung, jeder Dialog wird zum Exempel. Jeder Riss in einer alltäglichen Hausfassade - und es gibt viele solcher Risse in diesem Film - wird zum Sinnbild.

In Italien hat diese auf sich selbst bezogene Rücksichtslosigkeit offenbar den Effekt gehabt, dass man Moretti ernst nimmt, auch wenn man über ihn lacht, weil er immerhin weiß, wovon er redet. Und wirklich verzweifeln kann man mit ihm auch nicht, denn: "Ein guter Film macht nie beklommen." (DER STANDARD, Printausgabe, 17.9.2002)