Das Hochwasser dieses Jahres hat schwere Sachschäden angerichtet und über viele Menschen Unglück gebracht, aber der politische Kollateralnutzen ist nicht gering zu veranschlagen: Mit einem Schlag sechs (oder alle?) Abfangjäger abgesoffen, Schwarz-Blau im Eimer, und Schüssels Koalitionspartner schwemmt es Mitglieder und Funktionäre davon. Das große Vertschüssen hat begonnen, danke Jörg! Aber dass auch schon die Stunde der Wahrheit angebrochen wäre, davon kann keine Rede sein. Wolfgang Schüssel hat die Wähler schon einmal vor Wahlen belogen, umso größere Aufmerksamkeit ist jetzt bei jeder seiner Wortmeldungen geboten. Etwa bei der, mit der er Montag Neuwahlen ankündigte. Das schier endlose Geschwafel, mit dem er um den kleinen, aber harten Kern der Sache herumredete, sollte den entscheidenden Punkt verschleiern: Da teilt einer der Öffentlichkeit den Bankrott seines Unternehmens mit und kündigt im selben Atemzug an, er plane, die Geschäfte auf derselben Basis fortzuführen, auf der er eben Schiffbruch erlitten hat. Seine Regierung fliegt in die Luft, und er feiert sie als gelungenes Experiment neuen Regierens. Nicht etwa weil das Regierungsprogramm vor der Zeit erfüllt ist, sondern weil die Wende spektakulärer verendet ist, als es sich selbst harte Donnerstag-Demonstranten zu erhoffen wagten, muss er die Wahlen um ein Jahr vorverlegen. Aber er erklärt in schamloser Gelassenheit: "Nicht die Wende ist gescheitert, und nicht die Inhalte sind gescheitert." Warum denn dann Neuwahlen? Wo doch die Freiheitlichen in seiner Regierung durch die Bank super und patriotisch waren, wenn man von den nur allzu rasch Verschlissenen absieht. Doch leider gab es da auch noch diesen Jörg Haider, der Schüssels Wende erst ermöglicht, sie in der letzten Zeit aber zunehmend für einen Fehler gehalten hat. Wer hat indes - in Kenntnis der Person - seine Sache auf Haider gestellt, nur um endlich ins Kanzlergeschäft zu kommen? Die staatsmännische Attitüde, mit der er nun der Nation Neuwahlen als Heilsbotschaft verkündet, soll kaschieren, dass er auch als Dompteur eine Niete war, woraus er die Berechtigung ableitet, es mit einer handzahmen Wendeauslese noch einmal versuchen zu dürfen. Ein politischer Bankrotteur, der sich als Erlöser ausgibt - wenn es sein muss, auch gleich vom Übel seines einstigen Miterlösers. Und damit von denen in seiner Partei, die die Seltsamkeit dieser Argumentation auch bemerkt haben müssen, keiner auf dumme Gedanken komme, etablierte er sich gleich als Führungskraft für den Wahlkampf. Wie er sich, den Beschluss seines Parteivorstandes vorweg konsumierend, öffentlich als Spitzenkandidat empfahl, indem er seine Bereitschaft zur Übernahme dieser Rolle hinausposaunte, ließ erkennen, dass er wenigstens die innerparteilichen Kniffe beherrscht. Die ÖVP könnte derzeit zwar ohnehin keinen anderen mit dieser Aufgabe betrauen, ohne offen einzugestehen, dass ihr Weg unter Schüssel falsch war. Ein Schüssel, der auf der Fortsetzung seines eben gescheiterten Experiments - nur ohne Haider - beharrt, wird der Volkspartei vielleicht ein paar enttäuschte Freiheitliche zuführen, sie aber etliche bürgerliche Stimmen kosten. Gewichtige Personen in der Volkspartei sind ohnehin gegen eine neue Koalition mit einer Haider-Truppe, und eine glaubwürdige Ohne-Haider-FPÖ dürfte es auch nach dem Parteitag in Oberwart nicht geben. Selbst wenn, dann wäre sie zu schwach, um Wolfgang Schüssel den Posten des Bundeskanzlers zu erhalten. Denn warum sollte die blaue "Basis" eine Regierung unterstützen, die sie eben in die Luft gesprengt hat? (DER STANDARD, Printausgabe, 11.9.2002)