Die österreichische Autorin Kathrin Röggla, die
den 11. September 2001 als Stipendiatin in New York erlebte, im STANDARD-Gespräch
Redaktion
,
Die österreichische Autorin
Kathrin Röggla
erlebte den 11.
September 2001 als
Stipendiatin in New York. Ihre Erfahrungen
bilden die Grundlage für einen Rückblick
und die Frage nach Authentischem in einem
Gespräch mit
Richard Reichensperger
.
Wien - Kathrin Röggla erlebte
das, was allen ein Jahr lang auf
verschiedenen Ebenen - vom
Schock bis zum Krieg - Wirklichkeit wurde, zehn Häuserblocks vom WTC entfernt. Sie
reagierte darauf schon im Dezember in einem Buch (
really
ground zero. 11. September
und folgendes
), das sie selbst
bewusst als "Trashbuch" sehen möchte: "Um den festen
Geschichten zu entkommen."
Für das Volkstheater hat
Röggla ein Stück geschrieben,
fake reports
(Uraufführung:
17.
10.): "Aber darin geht es
nicht um diesen Tag, sondern
um die Zeit seither, die Diskurse."
DER STANDARD sprach
mit ihr über die Problematik
von "authentischem" Erleben,
über Bedrohungen und die
heilsame Jahresdistanz.
STANDARD: Der 11.
September
2001 - das ist präsent vor allem
als Bild, das schnell zu einer
Ikone wurde. Aber kaum eine
Tonspur des Einsturzes.
Röggla:
Dazu ein ganz pragmatisches Erlebnis: Der Lärm der
Stadt schluckt alle Geräusche,
sodass der Zusammenbruch
des Turmes - man hörte ihn,
aber es war nicht so laut. Das
Bild erschien quasi lauter. Es
war so mächtig. Zugleich war
das Bild nicht ganz neu, sofort
dachten alle an Film.
STANDARD: Dass Bilder in einer
Tradition stehen, ermöglicht
die Ikonisierung. Ist diese auch
ein Schutzmechanismus?
Röggla:
Ja. Interessant ist aber,
dass das Bild, das wir gesehen
haben, immer zugetextet worden ist. In Amerika kam es
schnell in eine Maschine rein,
in ein hysterisches Sprechen.
Gleichzeitig ist dort aber der
pragmatische Diskurs viel
stärker ausgebildet: Was ist
jetzt zu tun, diese U-Bahn-Linien gehen noch - sofort setzte
dieser Serviceteil ein. Und oft
wurde gefragt: "What's the
plan?" Eine Moderatorin sagte
endlich: "There is no plan."
STANDARD: Das wurde aber sofort übertragen auf die Politik,
die Pläne anbot, mit klarem
Gut-Böse-Schema.
Röggla:
Das kam am selben
Tag schon. Sofort wurde auf
zahlreichen Ebenen von einem "act of war" gesprochen.
STANDARD: Für viele Nichtamerikaner wirkte das bedrohlich.
Röggla:
Kritisch waren auch
Amerikaner. Und: Der Begriff
"Amerikafeindlichkeit" kam
auf mich erst in Deutschland
zu, nicht dort.
STANDARD: Sie schreiben aber
von Ihrer Wahrnehmung, dass
in Amerika Intellektuelle marginalisiert werden, mit der
Ausnahme von Weltstars wie
etwa Susan Sontag und Edward Said.
Röggla:
Dennoch wurde dort
deutlich: Man kann sehr wohl
Bush kritisieren und damit
nicht ganz Amerika meinen.
STANDARD: Zurück zu Ihrer unmittelbaren Wahrnehmung.
Was bedeutet für Sie "authentisch"?
Röggla:
Die wichtigste Erfahrung nach Ground Zero war:
Es gibt keine Hierarchien
mehr in der Wahrnehmung,
die reale, die mediale, die
theoretische, da ist nicht eine
davon privilegiert. Man kann
auch nicht sagen: Da ist zuerst
die reale Wahrnehmung. Ein
Beispiel: Ich teilte die Wohnung mit einer Freundin. Wir
haben zuerst aus Deutschland
erfahren, was in unserer Nähe
geschah. Diese Ebenen haben
sich durchgezogen: Einerseits
TV, dann Menschen auf der
Straße, auch mit Radios, zugleich Reflexion. Authentisches zu fordern ist problematisch.
STANDARD: Aber Sie legten doch
schon im Dezember ein authentisches Buch vor?
Röggla:
Ziel war aber nicht:
Ich schreib' jetzt ein Buch
über den 11.
September. Mich
hat gereizt, ein Trash-Buch zu
machen. Eben keines mit ästhetischen Fotos und so, das
alles in einen ästhetischen
Rahmen reinholt. Ich wollte
mit schmutzigen Materialien
arbeiten. Nicht das Ereignis an
sich wollte ich zeigen, sondern Formate, wie es uns begegnet ist, die Reaktionen, die
politischen Rituale, die Rhetoriken, wie Menschen auf der
Straße sprechen, etwa ein Musiker, das ist O-Ton.
STANDARD: Ist dies auch ein
Versuch, gegen die sofort geschriebenen festen Geschichten anzugehen?
Röggla:
Ja. Auch der Spiegel
brachte alles sofort in die
Form eines Krimis, alles wurde seither eine runde Geschichte. Demgegenüber versuchte ich, Erfahrung paradox
noch zu retten, die Oberflächen so zu lassen, wie sie sind.
Gewissermaßen halte ich da
Abstand.
STANDARD: Wird der Abstand
nach einem Jahr größer, die
Analyse leichter?
Röggla:
Jein. An der deutschen Rezeption interessierte
mich zum Beispiel auch das
Auseinanderfallen zwischen
Bild und Wahrnehmung: In
der Tagesschau stand der Moderator, und hinter ihm sieht
man das zweite Flugzeug ankommen. Er selbst aber sah es
nicht, erst beim dritten Hinweis kommentierte er: "Ich
sehe jetzt ein Flugzeug auf den
Turm zukommen und dann
verschwinden" - interessant
ist hier die Verweigerung, ein
Bild zu lesen.
STANDARD: Ihr Stück hat auch
damit zu tun?
Röggla:
Das Wort WTC taucht
nicht auf. Im Stück geht es um
Diskurse. Auch die Rezeption
in Österreich und Deutschland, politische Delirien, die
hier abgelaufen sind.
STANDARD: Also es ist die Geschichte danach.
Röggla:
Kann man schwer sagen, denn es geht um Diskurse, das ist ein eigener Raum.
STANDARD: In dem wir uns gegenwärtig bewegen: Was hat
sich darin im letzten Jahr verschoben oder verdeutlicht?
Röggla:
Dass ein Ereignis zum
Katalysator wurde, etwa für
die Forderung nach innerer
Sicherheit. In Deutschland
erlebte und erlebt man auch
sehr stark eine Betroffenheitskultur und übertriebene Identifikation. Riten wie die
Schweigeminuten - was in
den USA öfters noch mit Augenzwinkern geschieht, das
hat in Deutschland Tragik:
Schulen mit Trauerräumen.
Das kann es nicht sein. (DER STANDARD, Printausgabe, 11.9.2002)
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