Mit Wahlen, genauer: mit dem Anzetteln von Wahlen, hat Wolfgang Schüssel Erfahrung. Man glaubt ihm gerne, dass es diesmal wirklich nicht mehr anders ging und er die Koalition mit der FPÖ beenden musste. Allerdings könnten ihm weniger freundliche Zeitgenossen vorhalten: Wer sich in die Koalition mit Schüssel begibt, kommt darin um.

1995 beispielsweise kündigte er die Zusammenarbeit mit der SPÖ auf, weil diese seinen Budgetkurs nicht mitfahren wollte. Zwar konnte er bei den folgenden Wahlen nicht reüssieren - es reichte aber, um der SPÖ im nächsten Durchgang ein Sparpaket aufs Auge zu drücken.

Nicht dass es ihm der Wähler gedankt hätte. 1999 fiel die ÖVP mit 27 Prozent sogar unter die Marke von 1995 (28,3 Prozent), für Schüssel schlug dennoch die historische Stunde. Vom dritten Platz aus brachte er die ÖVP in die Regierung und sich an das Ziel seiner Wünsche: Bundeskanzler in einer konservativen Regierung, an der ihn zunächst die äußerst rechten Ausfransungen nicht störten. Rasch hatte sich eine funktionierende Arbeitsteilung etabliert: Die staatstragenden Inszenierungen moderierte der Kanzler, die dem Staat abträglichen der Hüter des Verfassungsbogens, Andreas Khol.

Damit war Schüssel zunächst durchaus erfolgreich. Die EU-Sanktionen brachte die Regierung mit Anstand zu Ende, und vielleicht hat Schüssel bei dieser Gelegenheit ein Stilmittel gefunden, das zu seinem Markenzeichen wurde: eine Art abgehobener Gelassenheit, die wuchs, je lauter der Lärm um ihn herum tobte. Dass der Kanzler sein beziehungsvolles Schweigen öfter pflegen konnte, als ihm lieb war, dafür sorgte die FPÖ. Wahrscheinlich hat Jörg Haider den Fehler gemacht, das Schweigen mit einer Bereitschaft zum Gewährenlassen zu verwechseln, die er bei Schüssel schließlich einmal zu oft voraussetzte. Als Schüssel ein Machtwort sprach, verschlug es Haider die Rede.

Was jetzt kommt, ist für den gefinkelten Strategen Schüssel die leichtere Übung. Er wird seine Partei sicher so zu positionieren wissen, dass neben dem Kanzlerbonus der Löwenanteil der durchgesetzten Regierungsvorhaben der ÖVP zugerechnet wird. Ob das reicht, um noch einmal Kanzler oder wenigstens Minister in der nächsten Regierung zu werden, liegt nicht mehr in Schüssels Hand. Wie es aussieht, dürfte der 1945 geborene Jurist den Höhepunkt seiner Karriere soeben hinter sich gelassen haben.

Sorgen muss man sich um den eloquenten Wiener dennoch keine machen. Mehr Zeit für seine Hobbys hat sich der musisch Veranlagte ja schon immer gewünscht. Die Wintermonate nach der Wahl locken sicher zu ausgedehnten Skitouren, und an den langen Abenden klingt das Cello besonders warm und tröstlich.

(DERSTANDARD, Printausgabe, 10.9.2002)