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Schüssel will Klarheit schaffen und kündigt Neuwahlen an

foto: reuters/prammer
Wien - Nach Rücktritt der halben Regierungsmannschaft der FPÖ hat sich jetzt auch Bundeskanzler ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel für vorgezogene Neuwahlen ausgesprochen. In einer mit Spannung erwarteten Pressekonferenz Montagnachmittag erklärte der Kanzler, "ich will Klarheit schaffen". Er werde dem ÖVP-Vorstand am Dienstag Abend vorschlagen, dass zum ehestmöglichen Termin Neuwahlen durchgeführt werden, der Nationalrat werde am 19. September aufgelöst. Die schwarz-blaue Regierung wurde am 4. Februar 2000 angelobt. Jetzt, zweieinhalb Jahre später, ist dieses Koalitionsexperiment endgültig gescheitert. Nach einem FPÖ-internen Streit um die Verschiebung der Steuerreform sind Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer, Finanzminister Karl-Heinz Grasser, Infrastrukturminister Mathias Reichhold und Klubobmann Peter Westenthaler zurückgetreten Bundeskanzler Wolfgang Schüssel begründete in seiner Erklärung seine Entscheidung für Neuwahlen damit, dass eine umgehende Klärung notwendig geworden sei, weil der Regierungspartner FPÖ "die Sacharbeit verunmöglicht" habe. Außerdem sei die Durchsetzbarkeit von Entscheidungen in der FPÖ nicht mehr gewährleistet gewesen. Die FPÖ hätte sich entscheiden müssen, ob sie Regierung oder Opposition wolle, beides gehe nicht. "Das ist meine Verantwortung" "Österreich braucht eine stabile Regierung. Das ist meine Verantwortung als Bundeskanzler", erklärte Schüssel. Die Bevölkerung erwarte von der Politik "Lösungen und nicht Machtkämpfe oder Machtkrämpfe". Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hofft nun auf breite Unterstützung. Die Bürger würden von der Politik Gestaltungskraft und Gestaltungswillen erwarten. Sie könnten nun entscheiden, wem sie das zutrauen. Die Österreicher wollten eine vernünftige Politik, in der mit Augenmaß Schwerpunkte gesetzt werden. "Schönwetter-Politik ist zu wenig." Schüssel betonte, dass österreichische Interessen in den nächsten Wochen und Monaten auf dem Spiel stünden. Als Beispiele nannte er die Verkehrspolitik und die EU-Erweiterung. Dieses "Herzstück" der Regierungszusammenarbeit müsse im Sinne Europas und Österreichs gelöst werden. Das stehe "nicht zur Disposition". Diese Politik werde er fortsetzen. Schüssel versprach in diesem Zusammenhang, bis zur Wahl mit aller Kraft die österreichischen Interessen weiter wahrzunehmen. "Aufrichtiges Bedauern" Sein "aufrichtiges Bedauern" drückte der Bundeskanzler darüber aus, dass Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer und drei weitere Minister der FPÖ ihren Rücktritt erklärt haben. Er lobte ausdrücklich ihre Arbeit und betonte, dass die Regierung sehr erfolgreiche und nachhaltige Strukturreformen umgesetzt habe. Inhaltlich sei "Beachtliches" umgesetzt worden. Man habe auch bewiesen, dass es möglich sei, dass zwei unterschiedliche Parteien partnerschaftlich und offen zusammenarbeiten können. Auch weiterhin bereit, mit der FPÖ zu koalieren Schüssel wäre auch nach der Nationalratswahl dazu bereit, mit der FPÖ zu koalieren. Das stellte er in seiner Pressekonferenz Montagnachmittag klar. Er werde jetzt nicht beginnen, jemanden auszugrenzen. Alle Wähler, die 1999 gegen einen "sozialistischen" Kanzler gestimmt hätten, seien eingeladen, dies wieder zu tun. Denn die Alternative zu seiner Kanzlerschaft wäre "ein Kanzler Gusenbauer, gestützt von den Grünen". Kritik an Haider Während der Kanzler das freiheitliche Regierungsteam mehrfach mit Lob bedachte, fand er für Altparteiobmann Jörg Haider kritische Worte. Er hätte sich erwartet, dass der Kärntner Landeshauptmann genauso wie er mit Zähnen und Klauen für die Erhaltung des gemeinsam ausverhandelten Koalitionspakts kämpfe. Haider sei aber höchstens halbherzig "Stimmungen benützend" bei den FPÖ-Rebellen für das Regierungsteam eingetreten. Folgerichtig meinte der Kanzler in Richtung Haider: "Im Moment ist die Zusammenarbeit nicht von einem rauschenden Glücksgefühl beseelt". Wunschtermin Schüssel strebt nun jedenfalls rasche Neuwahlen an. Als Termin schwebt ihm ein Sonntag Ende November oder Anfang Dezember vor. Bis dahin werde er die Amtsgeschäfte wie bisher weiterführen. Wichtige Beschlüsse wie die Budgeterstellung, die Hochwasserhilfe und die EU-Erweiterung stünden an. Den Beschluss, die Koalition nicht fortzusetzen, verteidigte der ÖVP-Chef mehrfach: "Die Alternative wäre ein quälendes Weiterwurschteln gewesen. Er hätte gehofft, dass eine Vereinbarung von Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer mit Haider nochmals eine tragfähige Lösung bringen könnte. Dieses Programm sei aber beim FP-Delegiertentreffen in Knittelfeld auf offener Bühne zerrissen worden." Jetzt sei die Grenze erreicht, "was zumutbar ist in einem politischen Diskurs". Umdenkprozess Wie Schüssel betonte, hoffe er, dass in der FPÖ nun ein Umdenkungsprozess einsetze. Denn die Regierungsmannschaft habe gezeigt, dass sie Regierungsverantwortung tragen könne. Als Zeugen dafür nannte Schüssel auch Bundespräsident Thomas Klestil. Dieser habe bei der heutigen Besprechung zum Ausdruck gebracht, dass er die sachliche Qualität der Regierungsmitglieder sehr schätze. Schüssel stimmt es "traurig", dass die Regierung nicht beweisen habe können, bis zum Ende der Legislaturperiode Reformen für Österreich durchzuführen. "Nicht die Wende ist gescheitert, und nicht die Inhalte sind gescheitert." Es sei offenbar nur schwer zu vermitteln gewesen, dass man nicht einerseits regieren und andererseits an der Basis opponieren könne, übte Schüssel Kritik in Richtung FPÖ: "Das ist kein Spiel." Auf eine entsprechende Frage erklärte der Bundeskanzler, dass er es nicht bereue, im Februar 2000 eine Koalition mit den Freiheitlichen eingegangen zu sein: "Ganz im Gegenteil." Man habe damit einen demokratischen Weg beschritten und bewiesen, dass man niemanden ausgrenzen müsse. Klestil: Keine Regierungsumbildung bis FP-Parteitag am 20. Oktober Bundespräsident Thomas Klestil erklärte nach seinem Gespräch mit Schüssel, dass es - trotz der Rücktritte im FPÖ-Regierungsteam - vorerst keine Regierungsumbildung geben werde. Der Kanzler und Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer (F) hätten ihm, Klestil, vorgeschlagen, "dass vorerst die Zusammensetzung der Bundesregierung die gleiche bleibt; beim Parteitag der FPÖ werde sich die personelle Zusammensetzung der freiheitlichen Regierungsmannschaft entscheiden", heißt es in einer Aussendung der Präsidentschaftskanzlei Montag nachmittag. (APA)