Die Sicherheitssituation in Afghanistan hat sich in der letzten Zeit dramatisch verschlechtert. Ein Attentat gegen Präsident Hamid Karsai, nicht nur Staatsoberhaupt, sondern Schlüsselfigur für das "neue" Afghanistan schlechthin, wurde Ende Juli abgewendet, eines hat er vorgestern nur knapp überlebt. Anschlägen entkommen sind in den vergangenen Monaten weiters Exkönig Zahir Shah und Verteidigungsminister Mohammed Fahim, ermordet wurden Luftfahrtminister Abdulrahman, und, Anfang Juli, Vizepräsident Hajji Abdulkadir.

Die Zahl der bei Attentaten getöteten Nichtoffiziellen ist unbekannt, zuletzt hatten sich "Unfälle" mit Sprengstoff auffallend gehäuft. Es besteht begründeter Verdacht, dass das Kind nur beim Namen genannt wird, wenn es nicht anders geht - wie eben beim verheerenden Anschlag in Kabul am Mittwoch mit bis zu 30 Toten. Zu Recht fürchten die Behörden, dass die afghanische Bevölkerung dem psychischen Druck einer Terrorwelle nicht standhalten könnte.

Die Ermordung Abdulkadirs hatte die USA aufgeschreckt, seitdem wird Karsai von amerikanischen Leibwächtern beschützt. Und noch vor den Attentaten vom Mittwoch hat das Pentagon einen interessanten Schwenk vollzogen: Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz kündigte an, dass eine Ausweitung des Mandats der internationalen Isaf-Truppen auf außerhalb Kabuls möglich sei. Dagegen hatten sich die USA immer gesträubt - wohl hauptsächlich aus Angst, dass sich die etwa 7000 nach Al-Qa'ida- und Taliban-Resten suchenden US-Soldaten und die Isaf ins Gehege kommen könnten.

Die jetzige Kehrtwendung kann freilich zweierlei bedeuten: Entweder die USA sehen die Sicherheitssituation in Afghanistan als so besorgniserregend an, dass sie für eine Aufstockung der jetzt 4800 Mann umfassenden Isaf-Truppen plädieren - wobei völlig offen ist, wer die neuen Soldaten stellen und wer sie leiten soll (bis Dezember hat die Türkei das Kommando). Denn die USA lehnen eine Beteiligung weiter ab, was die zweite Möglichkeit stützt: Angesichts der Irak-Pläne liegt die Vermutung nahe, dass die US-Truppen nicht zuletzt deshalb der Isaf Aufgaben übergeben wollen, damit amerikanische Soldaten abgezogen und woanders eingesetzt werden können.

Ein tollkühnes Unterfangen, ein Abenteuer zu beginnen, solange der Ausgang des anderen nicht gewiss ist: Aber dass Afghanistan alles andere als stabilisiert ist, scheint die amerikanischen Irak-Krieger in spe nicht zu stören. Dabei braut sich wieder Explosives zusammen: Eine Allianz von Al-Qa'ida- und Taliban-Resten, die alleine wohl nicht mehr viel ausrichten könnten, aber gefördert werden von frustrierten Paschtunen - die immer für die Taliban-Ideologie anfällig waren und jetzt die tadschikische Dominanz in der Regierung Karsai nicht verkraften - und alten Mörder-Mudjahedin vom Schlage eines Gulbuddin Hekmatyar. Unlängst soll wieder einmal ein US-Anschlag auf ihn gescheitert sein: kein gutes Omen für die Jagd auf Saddam Hussein. (DERSTANDARD, Printausgabe, 7./8.9.2002)