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Foto:Reuters/Fred Prouser
Das Mädchen ist 22 Jahre alt und hat wirklich ein außergewöhnliches Gesicht. Rund, mit Haut aus Seide und Diamantenaugen. Ihre Haare erinnern an den wilden Stil von Barbarella. Sie erzeugt keinen Neid, denn ihr Zauber ist zu groß dafür. Wer James King als Krankenschwester in "Pearl Harbour" sieht, als Tochter von Johnny Depp in "Blow" oder in ihrem neuen Film "Slacker" als mörderisches Schulmädchen, der ist gleich in sie verknallt und weiß doch, dass sie unerreichbar ist. James King erfüllt aber nicht nur Filmstarauflagen, sondern auch alle anderen Regeln des Celebrity-Daseins: Sie trinkt nur Sojamilch, sie treibt regelmäßig Sport, sie isst kein Fleisch, wenig Getreide und sie ist der Meinung, dass "Sport und viel Wasser trinken im Prinzip alles heilen können." James King ist mit ihrem Leben zufrieden. Rockstars wollen mit ihr ausgehen, und die ihr angebotenen Drehbücher stapeln sich, Produzenten können sich ihr Gesicht wunderbar auf großen Filmplakaten vorstellen. Sie ist auf dem Weg, sehr erfolgreich zu werden. Die Zeit bis zu ihrem ersten Blockbuster ist bestimmt nicht mehr lang. James King führt bereits ihr zweites Leben. Ihr erstes Leben begann Anfang der 90er-Jahre, als sie sehr schnell ein sehr bekanntes Fotomodell war. Ihre Agentur hat es nicht gern, wenn man heute über diese Zeit mit ihr sprechen will. "Werden Sie darüber sprechen?", fragt Mr. Levans von James Agentur "Company" am Telefon. Noch bevor man antworten kann, versichert Mr. Levans: "Nun, das war damals ihre dunkle Seite. Die gibt es aber nicht mehr." Mr. Levans spricht vom Jahr 1997, als James King Heroin nahm, als sie eine der Ikonen des Heroin-Chics war, als ihr junger Freund, der Fotograf Davide Sorrenti, an einer Überdosis Heroin starb. James' Geschichte als "fröhliches, schönes Girl aus dem mittleren Westen", wie sie gern von Magazinen beschrieben wird, beginnt dort, wo sie für viele Supermodels beginnt. Auf dem Land. Aus Nebraska. Dort wird sie 1979 geboren, und Mutter King nennt ihre Tochter nach der US-TV-Serie "Bionic Women". Eine Frau mit außerordentlichen Kräften, die in der Serie Jaime Sommers heißt. Neuer Name, Glamourwelt und sehr viel Geld James, wie sie später von ihrer Modelagentur getauft wird, weil es schon so viele andere Jaimes gibt, spielt in den riesigen Kukuruzfeldern, der einzige Bezug zur Glamourwelt dort draußen ist eine Drogerie, die Kosmetik von Revlon verkauft. James wird 14, und nur ein Besuch bei der Modelagentin Nancy Bounds reicht aus, um die Branche von ihr zu begeistern. Sie ist groß, blond, schmal gebaut, mit einem perfekten, symmetrischen Gesicht. Für James bedeutet das den schnellen Einzug in Modestrecken, auf Cover von Modezeitschriften. Sie verdient in kurzer Zeit mehr Geld, als ihre Eltern ihr ganzes Leben lang. Sie ist jung, möchte sich gern amüsieren, warum nicht zu all den Parties gehen, zu denen man eingeladen ist? "Wenn ein Mädchen nachts mitten in New York aus einem Schlafzimmer flüchtete, dann haben wir ein Problem", sagt Karen Hurrmann von "Company"und deutet damit nicht nur James' zukünftiges Problem an: Die Behandlung, die junge Models erfahren, ist die von Erwachsenen, auch wenn sie sich erst gerade von ihren Barbiepuppen verabschiedet haben. Christy Turlington erinnert sich heute noch an ihre ganz spezielle Form der Naivität. "Ich schickte den Moderedakteurinnen, mit denen ich arbeitete, sogar Weihnachtskarten, weil ich dachte, es wären meine neuen Freundinnen." Im New York der frühen 90er-Jahre läuft es für James King jedoch super. Sie arbeitet, ist erfolgreich, amüsiert sich, ist festes Mitglied der coolen Model-und Nachtlebenriege. Sie gerät jedoch in einen der größten Paradigmenwechsel der Mode seit langer Zeit. Anfang der 90er-Jahre beginnt sich der Prachtlook der 80er-Jahre, mit riesigen Dauerwellen, Locken und Goldknöpfen, aus den Modemagazinen und von den Laufstegen zu verabschieden. "Heroin-Chic" Wie so oft vollzieht die Mode drastische Brüche, in denen die Frage der Moral nun einmal keine große Rolle spielt. Höchstens die der Langeweile. Das macht die Mode für viele aber so anziehend. Plötzlich ist eben ein neuer Mädchentyp gefragt: zerbrechlich, blass, mit einer versteckten Sexyness. Eben nicht der Typ Mädchen, der so aussieht, als käme er gerade von einem Karibikurlaub oder aus Aspen. Für diesen Look wird schnell der Begriff "Heroin-Chic" geprägt, weil die Models oft so apathisch und blass aussehen. Bei vielen Mädchen ist es nicht nur der Look. Sie beginnen tatsächlich Heroin zu nehmen. Auch James. "Jeder hat Drogen genommen. Moderedakteure, Fotografen, Models. Alle rauchten oder spritzten. Es schien etwas Natürliches für mich zu sein", sagt sie. Das Modesystem der frühen 90er-Jahre zeigt sich raffiniert. Es stiftet Verwirrung, denn niemand, erst recht nicht von außerhalb, kann mehr zwischen Look und Realität unterscheiden. Diejenigen, die es könnten, äußern sich nicht dazu. Andere wiederum kommen selbst mit Drogen - Normalität in der Mode - nicht in Berührung. "Besondere Mädchen werden richtig beschützt. Deshalb bleiben sie oft unbehelligt", erinnert sich Cindy Crawford, und somit erklärt sich, warum zumindest einige Supermodels die Drogenfrage aufrichtig verneinen können. Drogengerüchte Um James häufen sich die Drogengerüchte. Ihr Umfeld versucht zu dementieren. Ihre Entdeckerin Nancy Bounds versichert, James würde bestimmt niemals mit Fotografen zu tun haben, die mit der Drogenwelt in Verbindung stehen. Die Annahme, es gäbe "da draußen" eine eigene Drogenwelt, wirkt fast süß. Ihre Agentur erklärt der Sunday Times: "Wir können Ihnen versichern, dass James clean ist. Unterstrichen: clean!" Dann aber erscheint das Foto. James liegt auf einem dreckigen Sofa, hinter ihr Bilder von den Punkhelden Sid Vicious und Kurt Cobain, James' glasiger Blick lässt auf echtes Heroin schließen. Das Foto sagt: Drogen sind cool. Und wie das immer bei Abbildungen irgendeiner Rebellion ist, wirken diese besonders stark. In welcher Form ist jedoch immer schwer zu sagen. Gemacht hat das Foto James' Freund, der junge Modefotograf Davide Sorrenti, Sohn der berühmten Modefotografin Francesca Sorrenti. Dieses Foto bringt den Heroinlook so sehr auf den Punkt, dass sich Präsident Clinton einschaltet. Öffentlich klagt er die Modeszene an, den "Tod zu glorifizieren", prägt den weltweit zitierten Satz: "Man muss die Abhängigkeit nicht glamourisieren, um Kleider zu verkaufen." Die Modebranche ist außer sich, beschuldigte Clinton, er würde Designer, Models und Kampagnehersteller für Drogenabhängigkeit in den USA verantwortlich machen. "Ich fand es gut, was Clinton damals sagte. Drogen sind nicht glamourös. Es war nicht in Ordnung, so eine negatives Image zu promoten. Der Unterschied zu heute ist allerdings, dass Mode zu der Zeit noch ein Lifestyle war und heute fast nur noch Geschäft", sagt die Fotografin Francesca Sorrenti heute über die Fashionwelt, von der sie sich jedoch seit dem Tod ihres Sohnes vor allem beruflich distanziert hat. Sie ist froh, dass James damals den Ausstieg rechtzeitig geschafft hat. "James ist jetzt eine junge Lady geworden. Sie ist auch ein Vorbild für die Mädchen in ihrem Alter, die vielleicht ein ähnliches Problem haben. Sie hat das damals ganz allein hinbekommen, keiner hat ihr dabei geholfen. Schreiben Sie das mal", sagt sie am Telefon, wütend. ... "Auf Wiedersehen Heroin-Chic" ... Als James damals zu Hause in Nebraska entzieht, titeln die Modemagazine längst "Auf Wiedersehen Heroin-Chic. Es ist wieder sexy, stark zu sein!" Heute hat James das Kinderdasein verlassen. Sie weiß, dass Zuneigung saisonal bedingt sein kann und dass "die Leute oft nicht wollen, dass Models Filmstars werden. Models sind keine Sympathiegruppe." Sorrenti hat außerdem Recht. Kings Lady-Gen schlägt zur Zeit voll durch. Egal, ob sie mit mittlerweile Exfreund Kid Rock bei den MTV-Awards in einem züchtig gepunkteten Kleid von "Imitation of Christ" erscheint. Oder ob sie für das britische Magazin Tatler anlässlich ihres neuen Films eine Mischung aus kleiner Dame und Super-Blondine darstellt. James hat so etwas wie Eleganz dazugewonnen. Nicht zuletzt durch ihre im Zeitraffer erworbene Weisheit. "Als ich jünger war, bin ich nicht sehr vorsichtig gewesen, meinen Körper zu zeigen. Damals habe ich mich sicher gefühlt. Wir waren in geschlossenen Räumen, und keines der Mädchen hatte viel an. Heute bedeutet mein Körper mir aber mehr. Ich verkaufe ihn nicht - das ist nicht mehr mein Job." (derStandard/rondo/Anne Philippi/6/9/02)