Handlanger des Präsidenten: Jean-Pierre Raffarin hat Mühe, die Kürzungen bei Steuern und Beamten durchzusetzen, die Staatschef Chirac versprach

"Wie heißt der neue Premierminister schon wieder?", fragt ein Franzose im Autostau, als er aus den langen Sommerferien zurückfährt. Nicht nur die Pariser Zeitungskarikatur ist der Meinung: Jean-Pierre Raffarin, Chef der neu gewählten französischen Rechtsregierung, hat bisher noch keine Bäume ausgerissen. Der rundliche Provinzpolitiker war von Staatschef Jacques Chirac zur Umsetzung groß angekündigter Staatsreformen berufen worden. Die Nation erwartet viel von ihm - nicht zuletzt, damit sich die Wahlsensation des rechtsextremen Schreckgespenstes Jean-Marie Le Pen im April nicht mehr so schnell wiederholt. Doch der ausgebildete Werbefachmann Raffarin vermochte bisher nicht einmal, sich richtig in Szene zu setzen. Der 54-jährige Exsenator macht nicht als Erster die Erfahrung, dass der Premier in Frankreich jeweils nur der Handlanger des Präsidenten ist. Letzterem fallen die großen Worte und schönen Reden zu, wie Chirac auch gerade bei der UN-Konferenz in Johannesburg bestätigte - der Regierungschef hingegen hat die tägliche Schwerarbeit zu leisten und präsidiale Wahlversprechen zu erfüllen. Dabei weiß auch Raffarin, dass die von Chirac angekündigten Steuergeschenke mit den Defizitvorgaben des EU-Stabilitätspaktes unvereinbar sind. Also legt er den Rückwärtsgang ein: Als Erstes knüpfte er im August die Steuersenkungen an die Bedingung einer positiven Konjunktur; in den vergangenen Tagen reduzierte er die Vorhersagen des Wirtschaftswachstums schrittweise. Die Präsentation des Budgets verschob er auf Ende September. Die Lehrer drohen Dafür schickte er am Sonntag den stellvertretenden Bildungsminister Xavier Darcos vor, der den Abbau von 2000 bis 3000 Lehrerposten ankündigte. Der Startschuss zum versprochenen Personalabbau in der Staatsverwaltung fiel aber gleich ins Wasser: Am selben Abend musste Bildungsminister Luc Ferry vor den Fernsehkameras zurückkrebsen, weil die Lehrergewerkschaften mit Streik drohten. Also macht sich Raffarin an die Reform der von der Linken 1999 eingeführten 35-Stunden-Woche. Obwohl der Premier vorerst nur eine provisorische Lösung anstrebt, geht diesmal die "Gegenseite" auf die Barrikaden. Der Unternehmerverband Medef verlangt die gesetzliche Erlaubnis von 200 Überstunden im Jahr, was die 35-Stunden-Woche rechnerisch außer Kraft setzen würde. Arbeitsminister François Fillon schlägt nun einen Kompromiss von 180 Überstunden vor, was aber sowohl Arbeitnehmer wie -geber verärgert. Die chaotische französische Arbeitszeitregelung - derzeit gibt es nicht weniger als sechs Arten von Mindestlöhnen - wird damit keineswegs geklärt. Raffarins Wahlspruch vor den Ferien ("Die Leute wollen Aktion") macht sich dafür Innenminister Nicolas Sarkozy zu Eigen, Chiracs Mann fürs Grobe bei der Bekämpfung von Kriminalität und "Unsicherheit". Seit der Verfassungshof grünes Licht für die Justizreform gegeben hat, plant der "erste Flic der Nation" eifrig die Bildung von geschlossenen Erziehungsanstalten - das Wort Gefängnis vermeidet er tunlichst - für jugendliche Wiederholungstäter ab 13 Jahren. Jeden Monat knöpft er sich persönlich die Präfekte jener fünf Departements vor, die bei der Kriminalitätsstatistik am schlechtesten abschneiden. Seit Hunderte illegaler Einwanderer vorübergehend die Basilika von Saint-Denis im Norden von Paris besetzten, muss auch "Sarko" leiser treten: Ihre Anträge auf Legalisierung würden einzeln geprüft, versprach er am Mittwoch. (DER STANDARD, Printausgabe, 5.9.2002)