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Shoot-out im Stillen bei strömendem Regen: Sam Mendes setzt in "Road to Perdition" Schlüsselsituationen des Gangsterfilms unorthodox um.

Foto: Archiv
Wien - Was Kinder sehen, sind Ausschnitte, Teile aus einem Ganzen. Beispielsweise fällt ein Blick über den Rand eines Sargs, auf das graue Gesicht des Toten. Oder auf den Vater, den Gang entlang, der seine Habseligkeiten auf dem Bett verteilt, zu denen eine Pistole gehört. Und schließlich, durch einen Wandspalt und die Beine des Vaters hindurch, auf einen kaltblütigen Mord.

Blicke haben in Road to Perdition, dem neuen Film von Sam Mendes (American Beauty) Konsequenzen. Der Sohn (Tyler Hoechlin) erkennt, dass sein Vater, Michael Sullivan (Tom Hanks), ein Killer ist, im Dienste des Gangsters John Rooney (Paul Newman), der ihn wie einen Sohn aufgezogen hat.

Mit diesem Blick beginnt eine Gewaltspirale, die Sullivan zum Getriebenen, zum heimatlosen Rächer macht. Sullivan wird von Rooneys leibhaftigem Spross aus Eifersucht verraten, der seine Frau und das (falsche) Kind tötet.

Mit dem Etikett Gangsterfilm wird man Mendes' Arbeit nicht ganz gerecht. Es herrscht zwar die Zeit der Depression in den USA, das Milieu ist kriminell, und die Farben schwanken zwischen Braun-und Grautönen, als würden sie das Schwarzweiß eines Film noir imitieren.

Aber Road to Perdition, der auf einer Graphic Novel von Max Allan Collins und Richard Piers Rayner basiert, will von Beginn an mehr sein: ein archaisches Familiendrama wie aus einem Western, eine Auseinandersetzung mit (populär-)mythischen Kon-stellationen, die unter anderem die Nähe von Coppolas Godfather-Trilogie sucht.

Wie schon in American Beauty - der teils mit demselben Team, etwa Kameramann Conrad L. Hall, produziert wurde - ist Mendes' Mise-en-scène überlegt, fast kunstsinnig. Man sieht vielen Einstellungen förmlich an, wie lange man an deren Auflösung gebastelt hat; man meint den Theaterregisseur zu ertappen, der Mendes (auch) ist, wenn er Tableaus schafft, die visuell beeindrucken wollen. Im Film jedoch, im Genrekino, das seine Künstlichkeit so gerne verbirgt, wirken solche Szenen oft schwerfällig, weil die Idee darin Bewegung hemmt.

Das bedeutet nicht, dass Road to Perdition die Höhepunkte gänzlich fehlen. Mendes setzt sie bloß an weniger eindeutigen Stellen an, während er markante Wendepunkte wie den Mord an der Familie, an Howard Hawks erinnernd, abstrakt mit MP-Salven gestaltet.

Sein Augenmerk gilt überdies den Darstellern, einem übergewichtigen, trägen Hanks, der hier seine beste, verhaltenste Leistung vollbringt. Einmal begegnet er in einem Diner seinem Mörder (Jude Law als deplatzierter, exzentrischer Peeping Tom) - und langsam läuft ihm eine Schweißperle übers Gesicht.

Der Mann hat Angst, sinnt aber auf Rache. Er nimmt alles persönlich, wo andere nur an Geschäftsinteressen denken; und er will seinen Sohn, mit dem er flüchtet und später Bankraube durchführt, davor bewahren, so zu werden wie er - was Mendes unpathetisch umsetzt. Das behäbige Tempo des Films, der den Pulp-Gehalt des Stoffs nicht berücksichtigt, kommt wohl daher: Es geht um ein eindrückliches Drama - wie der Held von American Beauty steht Sullivan vor dem Nichts, weil er sich zu lange etwas vorgemacht hat.

Der Shoot-out, der Moment im Gangsterfilm, an dem alle Energien frei werden, ist in Road to Perdition so auch eine fast intime Angelegenheit. Es regnet, die Körper fallen in Zeitlupe, als fehlte ihnen die Kraft. Kein Geräusch ist zu hören, nur Musik. (DER STANDARD, Printausgabe, 5.9.2002)