Die USA wählen ihr "American Idol", Deutschland sucht den "Superstar" und beim ORF dreht sich ab November alles um "Starmania": Castingshows sind die legitimen Nachfolger des einstmals erfolgreichen Containerfernsehens.

"Thank you, America!", jubelte Entertainment Weekly, als Nikki McKibbin ihre beiden Kontrahenten verlassen musste: "Sie hätte schon vor Wochen hinausgewählt werden müssen." Immerhin: "Besser spät als nie."

Der Jahrestag der Terroranschläge zum 11. September rückt näher, eine militärische Offensive der Bush-Administration gegen den Irak wird immer wahrscheinlicher: Doch die Weltpolitik macht dieser Tage Pause, denn im Moment gibt es für viele Amerikaner nur ein drängendes Problem: Wer wird des Landes erstes Popidol?

Seit Juni hält die Casting-show American Idol ihre Zuschauer in Bann. Amateursänger treten vor laufender Fernsehkamera um die Gunst von Jury und Publikum an, dem Gewinner winken Star-
ruhm und Plattenvertrag. Ein ähnliches Konzept verfolgt der ORF mit Starmania ab 18. November. Programmchef Reinhard Scolik träumt von "Taxi-Orange"-Quoten (bis zu 1,3 Millionen Zuseher).

Zu Recht, wie das Beispiel zeigt: American Idol ist der Renner des Sommers: Bis zu 15,3 Millionen Zuseher zählte der Privatsender Fox, in der Nacht auf Donnerstag wird der Sieger ermittelt. Die Meinungen, wer das Spektakel gewinnen wird, sind geteilt: "Nur Kelly Clarkson verfügt über eine Stimme, die stark genug ist, die kreischende Menge zu übertönen", orakelt USA Today. "Ich hasse Justin", analysiert Rapper Ice-T das männliche Pendant. "Aber wahrscheinlich wird er gewinnen. Es ist eine Frauensache." Caryn James in der New York Times: "Die einzigen Verlierer werden die Ohren der Zuhörerschaft sein."

Nicht nur in Amerika boomt das Geschäft mit den Castingshows, das Format erweist sich als einträglicher Nachfolger von Containerfernsehen wie "Big Brother". Die australische Version Popstars zeigte bereits vor zwei Jahren die Entstehung einer Mädchenband. Die von RTL2 zusammengestellte Teenieband "No Angels" gehört mittlerweile zur bestdotierten des Landes.

Etwa 20.000 selbst ernannte Gesangstalente sind zum Vorsingen und -tanzen bei RTL gemeldet. Unter dem Motto Deutschland sucht den Superstar setzt man ab November auf das Konzept von Simon Fuller. Neben Großbritannien und Amerika lief sein Pop Idol in Südafrika und Polen, 15 bis 20 Länder sollen folgen.


Kassen klingeln

Weil der Kölner Privatsender sein eigenes Süppchen kocht, darf sich die Show (wie in Österreich auch, denn der ORF produziert selbst) nicht Pop Idol nennen. Dafür klingelt ausschließlich die eigene Kasse: Ausgestrahlt wird Deutschland sucht den Superstar auf Bertelsmann-Tochter RTL. Der Gewinner erhält einen Plattenvertrag von BMG, ebenfalls Bertelsmann-Tochter. Für T-Shirts, Computerspiele und Plüschtiere ist die RTL Enterprise zuständig. Auch der Starmania-Sieger des ORF wird mit Plattenvertrag belohnt, welche Firma, steht noch nicht fest.

Simon Fuller träumt indessen vom World Idol, einem weltumspannenden Bewerb, in dem die Finalisten aller Shows gegeneinander antreten. Das könnte zumindest was die Geschlechter betrifft, eine einseitige Angelegenheit werden: Die Sieger waren bis jetzt ausschließlich männlich, und ihr Aussehen deutet auf einen völkerverbindenden Teenagergeschmack hin. Um Südafrikas Pop Idol, Heinz Winckler, entfachte sich ein heftiger Streit, man vermutete Rassismus, weil Winckler sich gegen seinen schwarzen Kontrahenten durchgesetzt hatte.

Immer wieder werden zudem Gerüchte um Schiebung laut: Als ihr ein "Zettel vorgelegt wurde, auf dem stand, wen ich als Jurymitglied rauszuwerfen hatte und was ich zu sagen hätte, reichte es mir", erzählte die Jurorin der RTL2-Popstars, Noah Sow. Die emotionalen Zusammenbrüche der Finalisten seien "künstlich gezüchtet".

Das große Geld machen die vertraglich gebundenen Newcomer mit den Plattenumsätzen freilich nicht: Die "No Angels", berichtete der Spiegel, erhielten pro Monat um die 2500 Euro, während Sender, Produktionsfirmen und Label Rekordumsätze feiern.

Dass es sich doch auszahlt, Star zu sein, verdanken die Preisträger der Werbung: Der Sieger der ersten britischen Pop Idol- Staffel unterschrieb Werbeverträge in Millionenhöhe. Ein "emotionaler Zusammenbruch" lässt sich so möglicherweise besser verkraften. (Doris Priesching/DER STANDARD, Printausgabe, 4.9.2002)