In ihrem Erzählband Unterm Strich beweist die Slowenin Suzana Tratnik (1963 in Murska Sobota geboren) ein unbestechliches Gespür für die Stimmungen, wie sie zwischen Liebenden, einseitig Liebenden oder Nicht-mehr-Liebenden herrschen. Die dreizehn Geschichten enthüllen ein großes erzählerisches Talent, in allen seinen Facetten, und Tratniks Sprache überzeugt durch klare Bilder, überraschende Assoziationsketten und stilistische Unaufgeregtheit.

Die Liebenden sind durchwegs Lesben, und sie schlagen sich in erster Linie mit den gleichen Problemen wie die Heteros herum. Erspart bleibt ihnen nichts, weder Eifersucht noch mangelndes Interesse, weder Zickentum noch Langeweile. Hier wie da kommt auch manchmal eine Person abhanden, die zur "Gegenseite" überläuft und somit für den Beziehungspool verloren ist.

In zweiter Linie schlagen sich die Protagonistinnen mit einer Gesellschaft herum, die deprimierenderweise immer noch nicht in der Lage ist, geschlechtliche Präferenzen vorbehaltlos zu akzeptieren. Dass lesbischen Frauen (vor allem von Männerseite) deutlich mehr Hass entgegengebracht wird als Schwulen, verwundert nur auf den ersten Blick. Ein Schwuler ist immerhin noch ein Mann, der sich mit seiner Partnerwahl in seiner Männlichkeit sogar verdoppelt, während eine Lesbe auf das Machtsymbol Mann verzichtet, sich als Frau verdoppelt, wodurch sie doppelte Diskriminierung abkriegt. Kaum ein Mann kann verzeihen, wenn er potenziell nicht infrage kommt.

Für eine von Tratniks Heldinnen (in "Der WC-Schlüssel") wird der Weg zur Toilette des Restaurants, für Frauen ohnehin eine andere Art von Reise als für Männer, zum Problem: Geht sie ins Damen-WC, wird sie vom Servicepersonal wegen angeblich zu burschikosen Aussehens zurückgepfiffen; geht sie ins Herren-WC, läuft sie Gefahr "überführt" zu werden. Dass sie in dieser Zwickmühle einfach auf den Klobesuch verzichtet, zeigt, wie stark die einzementierten Spielregeln verinnerlicht sind. Die faszinierendste von Suzana Tratniks Geschichten ist "Spiele mit Greta"; eine klasssische Kindheitserzählung, die auf dem Lande spielt, mit allem Drum und Dran: eine Hühner schlachtende und Schweineblut backende Großmutter und englische Verwandte. Greta wird von ihrer slowenischen Cousine verführt, tief in den Brunnen zu schauen, was bekanntermaßen höchst gefährlich ist.

Schon die Großmutter warnte davor: "Weil es einen hinunterzieht und du nicht mehr weg kannst und auch nicht weg willst und ganz vergisst, wo du bist und wer du bist." Beide Mädchen geraten in einen "verwunschenen Zustand" mit plötzlich aufkeimender sexueller Dynamik, aus dem sie erst durch das unfreundliche Einschreiten der englischen Tante wieder herausgerissen werden. Eine starke Metaphorik, die ganz ohne billige Effekte auskommt. Also schauen Sie wieder einmal in den Brunnen! (Linda Stift, D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 13./14.7. 2002)