Stilles Gedenken im Srebrenica Memorial Center.
Stilles Gedenken im Srebrenica Memorial Center.
AP/Armin Durgut

"Meine Eltern erzogen mich dazu, allen Menschen mit Respekt zu begegnen, auch den Serben. Sie haben nie hasserfüllt gesprochen und keine Narrative verbreitet, die mich dazu veranlasst hätten, die Serben als unsere Feinde anzusehen", erzählt der Genozid-Überlebende Hasan Hasanović von seiner Kindheit in einem Dorf in Ostbosnien. In seinem Buch Srebrenica überleben kann man nachlesen, wie sich die Stimmung im multikonfessionellen Bosnien und Herzegowina Anfang der 1990er-Jahre Schrift für Schritt änderte.

Es begann mit der Propaganda. Serbische Rassisten verbreiteten zunehmend Geschichten, "die die Menschen glauben ließen, dass ihre muslimischen Nachbarn ihre Feinde seien und die Schuld für alles Unglück der Vergangenheit trügen", so Hasanović. Der Bub, der bis dahin in einer Welt gelebt hatte, wo es darum ging, Käse zu rühren, stundenlang durch den Schnee zur Schule zu wandern, dem Großvater zu lauschen und den Mais einzubringen, wurde als 17-Jähriger 1992 in die Hölle der Menschenfeindlichkeit gestoßen.

Das Ziel der damals stärksten bosnisch-serbischen Partei unter Radovan Karadžić war es, die Muslime aus Bosnien und Herzegowina zu vertreiben, sie in Lager zu bringen, sie zu ermorden und die Frauen zu vergewaltigen, um dann dieses "ethnisch gesäuberte" Land an ein Großserbien anzuschließen. Mithilfe des Nachbarstaates Serbien und dessen ebenfalls rassistisch-muslimenfeindlicher Regierung wurde dieses Vorhaben dreieinhalb Jahre lang Schritt für Schritt umgesetzt. Die westlichen Staaten sahen einfach zu, unterstützten den unabhängigen Staat Bosnien und Herzegowina nicht, sondern belegten ihn auch noch mit einem Waffenembargo.

Versteckt in den Wäldern

Die Aggressoren hatten es deshalb leicht: Zwei Millionen Menschen wurden vertrieben oder flohen, viele Dörfer wurden niedergebrannt und die Nichtserben systematischer Gewalt ausgesetzt, die von Karadžićs Partei, von Paramilitärs und Militärs, aber auch von Polizisten begangen wurde. Es ist eines der bestdokumentierten Verbrechen der Menschheitsgeschichte. Die meisten muslimischen Zivilisten wurden bereits drei Jahre vor dem Völkermord von Srebrenica ermordet, im Jahr 1992. Hasan, seine Brüder und seine Eltern wurden in diesem Jahr aus dem neu gebauten Haus in Bratunac vertrieben.

Sie versteckten sich in den Wäldern. "Wir lebten wie die Tiere, wir waren Vieh, das unser Dorf aus der Distanz betrachtete", berichtet er. Sein Großvater erhängte sich, weil er dachte, seine Familie sei bereits ermordet. Wie zehntausende andere muslimische Familien aus dem Drina-Tal flüchteten schließlich auch die Hasanovićs in die Stadt Srebrenica. Hasan wird dort drei Jahre verbringen, ohne Strom, oft ohne Essen, in Wohnungen, in denen Flüchtlinge zusammengepfercht ausharren müssen.

In seinem Buch beschreibt der Mann, der heute die Gäste durch das sehr sehenswerte Völkermord-Gedenkzentrum bei Srebrenica führt, diese Jahre mit dem Blick eines Jugendlichen, der sich eigentlich für Fußball und Rock 'n' Roll interessiert, aber lernen muss, sich wegen der Fliegerangriffe auf den Boden zu werfen, auf einem Hügel nach abgeworfenen Essenspaketen zu spähen, das Schreien der hungernden Kinder auszuhalten und das Schreien der Menschen, deren Gliedmaßen ohne Narkosemittel amputiert werden mussten. In Srebrenica gab es in den Kriegsjahren fast gar nichts, nur die Hoffnung zu überleben.

Zunächst glaubten viele, dass die Vereinten Nationen, die Soldaten schickten, helfen würden. Doch die sogenannte Schutzzone wurde trotzdem permanent angegriffen. Als Anfang Juli 1995 General Ratko Mladić mit seinen Soldaten die Stadt einnahm, liefen sie davon und lieferten die ihr schutzbefohlene Bevölkerung einfach ihren Mördern aus. Hasan flüchtet mit seinem Bruder und seinem Vater. In einer kilometerlangen Kolonne versuchen die Menschen, in das von der bosnischen Armee kontrollierte Gebiet zu entkommen.

Vornamen, die den Tod bedeuten

Bald verliert er jedoch seinen Vater und seinen Zwillingsbruder aus den Augen. Die Kolonne wird permanent beschossen. Hasan schläft tagelang nicht, die Menschen werden von Mladićs Soldaten wie Tiere durch Felder und Wälder gejagt. "Ich sah, wie Patronen in die Baumstämme um mich herum einschlugen. Da begriff ich, wie nah sie waren", schreibt er. Hasan überlebt den Völkermord, doch sein Vater und sein Bruder werden, eigentlich schon auf dem Weg in die Freiheit, ermordet.

Später findet er seine Mutter wieder. In den nächsten Jahren holt ihn immer wieder die Angst ein. Sie lähmt ihn. 2009 kehrte Hasanović nach Srebrenica ins Gedenkzentrum zurück. Heute wird er auf der ganzen Welt eingeladen, um über den Genozid zu berichten. 2005 beerdigte er mit seinen eigenen Händen seinen Zwillingsbruder. "Das Schlimmste ist der Schmerz, wenn ich darüber nachdenke, wie mein Bruder Husein und mein Vater Aziz umgebracht wurden", schreibt er. "Ich denke an alle meine Freunde, die umgebracht wurden, nur weil sie einen anderen Vornamen hatten", so Hasanović. Die muslimischen Namen bedeuteten in den Kriegsjahren tatsächlich für viele den Tod.

In einem Schreiben an die Generalversammlung der Vereinten Nationen bittet die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) nun gemeinsam mit der Gedenkstätte für den Völkermord von Srebrenica, der Organisation Jews Against Genocide und dem Helsinki-Komitee für Menschenrechte in Serbien die UN-Mitgliedsstaaten, eine Resolution zu Srebrenica zu verabschieden.

Die Resolution mit dem Titel "International Day of Reflection and Commemoration of the 1995 Genocide in Srebrenica" wird am 2. Mai von der UN-Generalversammlung diskutiert. Den 11. Juli soll auch die Uno als Gedenktag festlegen, wie dies bereits das Europäische Parlament gemacht hat. Für die Verabschiedung der Resolution ist eine Zweidrittelmehrheit notwendig. Der Entwurf wurde von Deutschland und Ruanda eingereicht und wird von den USA unterstützt. Eine ähnliche Resolution im UN-Sicherheitsrat scheiterte allerdings im Jahr 2015 durch ein russisches Veto.

Traum von "Großserbien" lebt weiter

Den Initiatoren der jetzigen Resolution geht es auch darum, den toxischen Einfluss extremistischer Nationalisten auf die junge Generation in Bosnien und Herzegowina und in den Nachbarstaaten zu schwächen. Tatsächlich gibt es eine neue, sehr gefährliche Welle von Muslimenfeindlichkeit, extrem nationalistischer Rhetorik und Hassrede durch die Führung der Republika Srpska, also jenem Landesteil von Bosnien und Herzegowina, aus dem im Krieg Muslime und Katholiken massenhaft vertrieben und ermordet wurden.

Völkermord ist durch die Absicht gekennzeichnet, auf direkte oder indirekte Weise "eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören". Es gilt als "das schlimmste Verbrechen im Völkerstrafrecht". Der Völkermord rund um Srebrenica im Juli 1995, bei dem über 8000 Menschen, vor allem Männer und Burschen mit muslimischen Namen, ermordet wurden, war das schwerste Kriegsverbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Massengewalt um Srebrenica wurde nicht nur vom Jugoslawien-Tribunal, sondern auch vom Internationalen Gerichtshof als Genozid gewertet.

Trotzdem wird dieser Genozid von vielen Kräften, allen voran von serbischen Nationalisten, geleugnet, die Opfer werden verhöhnt und verspottet. Zu den Taktiken der Leugner gehört, die Zahl der Ermordeten, die Umstände ihres Todes und ihre Identität zu bestreiten, obwohl die Fakten durch forensisches Beweismaterial und Zeugenaussagen in den internationalen Strafverfahren belegt sind.

Durch das Herunterspielen des Verbrechens wollen die Leugner Legitimität für ein Großserbien, das sie noch immer konstruieren wollen, schaffen. Sie verwenden dazu einen Verschwörungsdiskurs, der "auf der vollständigen Rollenumkehr" von Opfer und Täter im Fall des Genozids rund um Srebrenica beruht.

Opfer-Narrativ

"Die Geschichte des 20. Jahrhunderts wird so durch die Linse des serbischen Nationalismus neu interpretiert, welcher die Serben als bedauernswerte Opfer eines fiktiven muslimischen Aggressionsfeldzugs darstellt", heißt es in einem Bericht des Srebrenica-Gedenkzentrums. "Innerhalb dieses verzerrten historischen Paradigmas werden serbische Kriegsverbrecher als nationale Befreier verherrlicht, der Völkermord von Srebrenica geleugnet und die faschistische Tschetnik-Ideologie rehabilitiert, um dem nationalistischen politischen Projekt Großserbiens eine stabile Grundlage zu geben."

Genau diese Vorgangsweise war in den vergangenen Wochen vor der Diskussion der UN-Resolution verstärkt zu beobachten. Insbesondere Aleksandar Vučić, der autokratisch regierende Präsident von Serbien, und Milorad Dodik, der Präsident des bosnischen Landesteils Republika Srpska, beschallen die Öffentlichkeit mit ihrem Opfer-Narrativ und stellen die Srebrenica-Resolution als "serbenfeindlich" dar. Die Serben als Volk würden damit als genozidär bezeichnet, behaupten sie, obwohl niemand "die Serben" als Volksgruppe "genozidär" nennt. Der Völkermord wurde von Mladić und seinen Soldaten auch nicht durchgeführt, weil diese Serben waren, sondern weil sie eine rassistische, menschenfeindliche Ideologie verfolgten. Doch Vučić und Dodik wollen sich zu "Opfern" stilisieren.

Vučić nannte die Uno-Resolution sogar "einen hinterhältigen Angriff". Und Dodik drohte wieder einmal mit der Abspaltung der Republika Sprska. "Wir wollen nicht die Luft mit den Bosniaken teilen", sagte er über die bosnischen Muslime und sprach von einer "chinesischen Mauer" zwischen ihnen und "den Serben". Sharon Silber, Präsidentin von Jews Against Genocide, bezeichnete die Leugnung des Völkermords durch die Regierungen Serbiens und die Republika Srpska als "zutiefst beunruhigend". (Adelheid Wölfl, 1.5.2024)