Beeidigung des Reserve-Polizeibataillon im Jahr 1940
Die Beeidigung des Reserve-Polizeibataillons Abschnitt West im Juli 1940. Bereits 1933 begann für unzählige Menschen ein Spießroutenlauf: Sie flohen, häufig über mehrere Stationen, vor dem NS-Regime.
BMI/LPD Wien

Es war eine vielversprechende Karriere, die vor der 1887 geborenen Wienerin Lucy von Jacobi lag. Bereits 1905 bekam sie ihre erste Rolle als Schauspielerin am Deutschen Theater in Berlin. Ab 1913 begann sie mit dem Schreiben feuilletonistischer Texte. Zwei Jahre später führte sie ihr schauspielerisches Engagement an die Berliner Volksbühne, ab 1919 dann ans Münchner Nationaltheater.

Zusätzlich publizierte Lucy von Jacobi Kommentare als "Notizen einer Dilettantin" und wurde fester Bestandteil der Münchner Kulturszene. In dieser Zeit übersetzte sie auch französische Literatur ins Deutsche – unter anderem Émile Zolas "Nana". Daneben erschloss sie sich die Welt des Journalismus und erhielt als eine von lediglich rund 50 Frauen in der Weimarer Republik eine Festanstellung als Redakteurin.

Weggehen aus Ekel

Durch das NS-Regime änderte sich das Leben der Schauspielerin, Dramaturgin, Journalistin und Übersetzerin mit jüdischen Wurzeln im Jahr 1933 schlagartig: Von Jacobi suchte Zuflucht in den umliegenden Ländern – zunächst in der Tschechoslowakei, dann in Italien, wo sie in der Toskana eine kleine Pension eröffnete. Mit den italienischen Rassengesetzen von 1938, die eine Ausweisung aller nichtitalienischen Jüdinnen und Juden vorsahen, war sie erneut zur Flucht gezwungen und immigrierte in die Schweiz. Ihre vielfältigen Karrieremöglichkeiten gehörten nun der Vergangenheit an: Unter prekären Umständen schlug sie sich mit illegalen Arbeiten als Übersetzerin durch.

Nicht allen übersetzerisch Tätigen erging es dabei wie Lucy von Jacobi – und nicht alle von ihnen, die wegen des NS-Regimes ins Exil flüchteten, waren jüdisch. "Viele gehen aus politischen Gründen", erklärt die Übersetzungswissenschafterin Larisa Schippel. An der Uni Wien leitet sie das in Kooperation mit Mainz und Lausanne durchgeführte Projekt Exil:Trans auf österreichischer Seite. Untersucht wurde dabei beispielsweise das "Weggehen aus Ekel": "Die Übersetzerinnen und Übersetzer wollen mit diesem Regime nichts zu tun haben", führt die Wissenschafterin aus.

Einzige Möglichkeit des Broterwerbs

Die Gruppe aller Übersetzerinnen und Übersetzer im Exil von 1933 bis 1945 charakteristisch zu erfassen ist aufgrund ihrer Vielseitigkeit komplex. Wie auch bei Lucy von Jacobi zeigte sich in dem Projekt, dass es bei den meisten übersetzerisch Tätigen mehrere Exilstationen gab. Viele gingen zunächst aufgrund der geografischen Nähe in die benachbarten Länder: "Das ist nicht immer eine Entscheidung, die Menschen in Abhängigkeit von ihren Interessen und den von ihnen beherrschten Sprachen treffen, sondern sie müssen häufig dorthin gehen, wo sie überhaupt hingehen können", sagt Schippel.

Der Gedanke an eine baldige Rückkehr ins Herkunftsland war zu Beginn für viele noch existent. Gemein hatten die meisten außerdem, dass sie in der Regel mehrere Sprachen beherrschten, wobei sich durch das Exil ihre Übersetzungstätigkeit – beispielsweise durch eine Verschiebung der Übersetzungsrichtung – änderte.

Durch das Projekt zeigte sich zudem, dass viele der Übersetzerinnen und Übersetzer – wie auch Lucy von Jacobi – nur eingeschränkte Verdienstmöglichkeiten hatten und den Bedingungen der illegalen Arbeit ausgesetzt waren. "Das Übersetzen wurde oftmals zur einzigen Möglichkeit des Broterwerbs", erklärt die Forscherin.

Konzentrationslager Dachau
Die KZ-Gedenkstätte im deutschen Dachau. Auch etliche Übersetzerinnen und Übersetzer entgingen Konzentrationslagern nur durch Flucht.
IMAGO

Propaganda übersetzen

Dennoch ergaben sich für einige Exilantinnen und Exilanten neue übersetzerische Tätigkeitsfelder: Für den britischen Rundfunk wurden deutschsprachige Menschen gebraucht, die etwa die Reden des Reichspropagandaleiters Joseph Goebbels übersetzen konnten. Auch die Geheimdienste zeigten großes Interesse, Texte aus NS-Deutschland in die jeweilige Landessprache zu übersetzen. Ebenso nutzte man damals Rückübersetzungen ins Deutsche für Antikriegspropaganda – auch wenn es "ungeheuer viel Misstrauen gegenüber jenen, die Deutsch sprechen", gab.

Obwohl einzelne Übersetzerinnen und Übersetzer im jeweiligen Exilland Fuß fassen konnten, ist das Exil nicht immer eine Glückserzählung: "Wir haben die Erfolgsgeschichten wie etwa bei Ernst Gombrich, der nach London emigrierte und zu einem renommierten Kunsthistoriker wurde; und wir haben die tragischen Geschichten in Elend und Not, die mitunter auch in Suizid enden", konstatiert Schippel. Dennoch könnten die Narrative über Exil als Verlust durch die neuen Erkenntnisse aufgebrochen werden: Vielmehr würde etwas Neues – wie bei der Übersetzungsarbeit im Rundfunk oder im Geheimdienst – entstehen.

Gerade der Bereich der wissenschaftlichen Übersetzung profitierte von den Exilantinnen und Exilanten. Im wissenschaftlichen Bereich sei eine ganz neue Qualität der wissenschaftlichen Verflechtung entstanden – neue Kontakte wurden an den Universitäten geknüpft, die Exilantinnen und Exilanten veränderten sich durch ihre neue Umgebung und mit ihnen auch die Aufnahmegesellschaft.

Verbleib oder Rückkehr

"Exil ist Translation. Und zwar einerseits im metaphorischen Sinne – als ein Transfer, eine Bewegung mit Folgen, die in Gang kommt. Und andererseits im Wortsinne, da das Exil mit translatorischen Vorgängen von A bis Z verbunden ist", beschreibt Schippel die größte Erkenntnis von Exil:Trans.

Nach 1945 verblieben viele Geflohene in ihren Exilländern. Tendenziell entschieden sich jedoch eher Österreicherinnen und Österreicher für eine Remigration – eine freiwillige Rückwanderung in ihr Herkunftsland – als Deutsche: "Die Heimatverbundenheit der Österreicherinnen und Österreicher scheint ein bisschen größer gewesen zu sein."

Genügend Stoff für ein Nachfolgeprojekt bietet somit die Untersuchung der Nachkriegszeit. Abgeschlossen ist das Projekt bereits – eine Datenbank mit über 300 Einträgen und zwei Open-Access-Bände wurden dazu publiziert. Der dritte und letzte Band ist gerade in Fertigstellung und soll demnächst erscheinen. (Katharina Dolesch, 30.4.2024)