Mit seiner Kritik hält Christoph Badelt nie hinterm Berg. Soll er aber auch nicht, ist er doch eine Art fiskalischer Watchdog des Landes. Österreichs Staatsschulden sieht er weit weniger entspannt als der Finanzminister.
STANDARD: Der Fiskalrat, den Sie leiten, hat vorige Woche seine Prognose zum Staatsdefizit auf 3,4 Prozent erhöht, es wird also wieder über der Maastricht-Grenze von drei Prozent liegen. Im Dezember sind Sie noch von 2,9 Prozent ausgegangen. Wie kommt es zu dieser Erhöhung?
Badelt: Unsere letzte Prognose stammte von Anfang Dezember. Seitdem ist viel passiert: Die Wirtschaftslage hat sich verschlechtert, das endgültige Defizit 2023 lag um drei Zehntelprozentpunkte höher als ursprünglich angenommen, zudem schlagen neue Maßnahmen zu Buche wie Wohnbaupaket, Verlängerung des Stromkostenzuschusses und Aussetzung der Energieabgabe. Auch Ausgaben für diverse Goodies trugen dazu bei, etwa außertourliche Pensionserhöhungen.
STANDARD: Das Finanzministerium reagierte gerade empört und berief sich auf niedrigere Defizitprognosen von anderen Instituten.
Badelt: Na, Freude hat der Finanzminister nicht. Auch die anderen Institute werden ihre Prognosen erhöhen, wir sind nur die Ersten. Meine Aufgabe ist es nicht, den Finanzminister zu kritisieren, sondern sachlich zu argumentieren. Faktum ist: Einnahmen- und Ausgabenpolitik stimmen nicht zusammen. Wir haben im öffentlichen Budget keinen Spielraum für etwaige Krisen. Das ist das Fürchterliche.
STANDARD: Die Inflation in Österreich liegt immer noch bei 4,1 Prozent. Warum bekommt die Regierung das nicht in Griff?
Badelt: Die Regierung hat sich dazu entschlossen, nicht direkt in die Preise einzugreifen wie andere Länder und lieber die Leute zu unterstützen, die von den Preissteigerungen betroffen sind. Ich habe diese Strategie unterstützt, rückblickend sehe ich es teilweise anders. Denn die Marktpreissenkungen für Energie schlagen sich erst jetzt langsam auf die Konsumentenpreise durch; da hätte man also stärker eingreifen sollen. Da fehlt es aufseiten der Anbieter auch an Transparenz.
STANDARD: Sie waren immer gegen eine Mehrwertsteuersenkung bei Grundnahrungsmitteln. Warum?
Badelt: Das wäre wirklich keine gute Idee. Allein die Definition, was Grundnahrungsmittel sind, ist schwierig. Welche Milch, welche Butter, welches Brot sind Grundnahrungsmittel? Und gehört Schokolade dazu?
STANDARD: Natürlich.
Badelt: Ich finde auch, ja. Aber letztlich hätte man mit solch einer Unterstützung auch Leute gefördert, die sich Brot und Schokolade leisten können. Und wer hätte sich danach getraut, die Mehrwertsteuer wieder zu erhöhen? Niemand.
STANDARD: Die Inflation zieht auch Lohnerhöhungen nach sich. Sehen Sie schon eine Lohnpreisspirale?
Badelt: Die großen Lohnerhöhungen beeinflussen zwar die Inflation, aber von einer Spirale würde ich erst reden, wenn das länger andauert. Ich hoffe, dass es nicht so weit kommen wird.
STANDARD: Der Warenkorb, aus dem sich der Verbraucherpreisindex (VPI) ableitet, ist sehr breit gefächert. Auch die Mietpreiserhöhungen leiten sich daraus ab, was IHS-Chef Holger Bonin etwa für nicht sinnvoll hält. Sollte man das abkoppeln?
Badelt: Ja, man sollte sich ernsthaft eine andere Preisbasis suchen. Die Steigerung der Energiekosten etwa treffen die Mieter doppelt: Zum einen haben sie selbst Mehrkosten für Energie, zum anderen treiben die Energiepreise den VPI an, und dann wiederum steigen die daran gebundenen Mieten.
STANDARD: Was schlagen Sie vor?
Badelt: Das kann man nicht so aus dem Ärmel schütteln. Die automatische Kopplung vieler Preise an den VPI bis hin zu den Parkgebühren der Stadt Wien ist ein Teil des österreichischen Unwesens. Man sollte bei Indexierungen viel vorsichtiger sein, weil auch die treiben die Inflation an.
STANDARD: Im Zusammenhang mit steigenden öffentlichen Ausgaben bei sinkenden Einnahmen kritisieren Sie, dass man zu wenig Ambitionen habe, diesen Trend zu durchbrechen. Was soll geschehen?
Badelt: Auch in dieser Koalitionsregierung wurde sehr starker politischer Druck ausgeübt, die Einnahmen in Form von Steuererleichterungen zu senken und andererseits ganz gezielte Ausgaben zu tätigen, ob für Pensionisten oder Förderungen. Zwar schimpfen Wirtschaftsvertreter auf der einen Seite, dass der Staatseinfluss zu hoch sei, auf der anderen Seite erfinden aber auch sie gern neue Förderungen, wie seinerzeit den Energiekostenzuschuss zwei. Da wird schon viel lobbyiert, und die Regierung hat dem zu oft nachgegeben. Was die öffentlichen Haushalte betrifft, hat die Regierung nicht nachhaltig genug gewirtschaftet. Für die nächste Regierung wird es sehr schwer werden, den Budgetpfad wieder zu konsolidieren.
STANDARD: Sie kritisierten einmal, dass während der Pandemie bei Gießkannenförderungen viel Geld aus dem Fenster geworfen wurde ...
Badelt: Ja, und jetzt ist zwar Digitalisierungsstaatssekretär Florian Tursky weg, aber es gibt noch immer keine gemeinsame Datenbasis, auf der man jene Niedrigeinkommensbezieher identifizieren kann, die wegen der Inflation wirklich Probleme hatten, mit ihrem Haushaltsgeld auszukommen. Ihnen hätte man automationsunterstützt fokussierte Leistungen zukommen lassen können. Man wollte da eine perfektionistische Lösung, aber manchmal muss das nicht ganz Ideale reichen.
STANDARD: Zu den hohen Ausgaben, die dauerhaft sind und sich daher im Budgetdefizit niederschlagen, gehören vor allem jene für Pensionen. Da kamen seit 2018 rund 1,8 Milliarden Euro fix dazu. Sie fordern eine nachhaltige Reform des Pensionssystems: Wie soll die aussehen?
Badelt: Wir haben ein strukturelles Problem. Das Pensionssystem wäre, weil sich die Lebenserwartung ständig erhöht, ein denkbarer und vom Gerechtigkeitsgesichtspunkt her passender Zugang, die Ausgabendynamik langfristig ein bisschen zu bremsen. Aber: Die Lebenserwartung hängt sehr von sozialer Situation, Beruf, Bildung ab, wir können das Pensionsalter daher nicht einfach generell hinaufschrauben. Das gehört sozial ausdifferenziert gelöst. Da sollen sich doch jetzt bitte die Sozialpartner zusammensetzen, denn die kennen sich bei alldem bestens aus. Sie sollen eine sozial adäquate, schrittweise Erhöhung des Pensionsantrittsalters so vorbereiten, dass das eine vernünftige Regierung in einer fünfjährigen Legislaturperiode umsetzen kann. Die Wirksamkeit setzt dann sowieso später ein.
STANDARD: Warum haben wir in Österreich mit den Pensionen schon so lange Zeit ein Problem?
Badelt: Ich glaube, dass sich die Regierenden seit Jörg Haiders Zeiten vor den Populisten fürchten. Und sie haben daraus den Schluss gezogen, selbst auch populistisch zu sein. Jetzt sind hier in Österreich schon alle Populisten, und alle fürchten sich vor der FPÖ, weil die am allerpopulistischsten ist. Das ist nicht gut für die österreichische Politik. Beim Pensionsthema braucht es Differenzierung und Mut statt Populismus. Für eine Reform müssten sich die Regierenden zurückziehen, sich in die Hand versprechen, dass sie einander nachher nichts vorwerfen und dann erst wieder rauskommen, wenn sie sich geeinigt haben.
STANDARD: Sie träumen von warmen Eislutschern?
Badelt: Wahrscheinlich.
STANDARD: Österreich ist generell ziemlich Reform-resistent. Warum?
Badelt: Zum Populismus kommt dazu, dass vor allem bei SPÖ und ÖVP die Landesorganisationen die wirklich starken Kräfte sind. Und die blockieren die Bundespolitiker, man sieht das ja beim Finanzausgleich.
STANDARD: Angesichts der Budgetzahlen haben Sie auch vor dem Verteilen von Wahlzuckerln gewarnt. Sehen Sie für derlei Aktivitäten irgendwelche Anzeichen?
Badelt: Interessanterweise nicht. Denn es scheint sich ein friedliches Koalitionsende anzubahnen. Zuletzt wurden die Koalitionen ja immer gesprengt und danach wurde im Parlament dann um die Wette verschenkt. Jetzt bin ich optimistisch. Aber wer weiß, was noch alles geschieht.
STANDARD: Wir sitzen hier in der Nationalbank OeNB, wo der Fiskalrat seinen Sitz hat. Wie finden Sie es, dass die Regierung die OeNB-Chefposten schon 15 Monate vor Auslaufen der Verträge ausgeschrieben hat?
Badelt: Als Fiskalratspräsident steht es mir nicht zu, diese Prozesse zu kommentieren.
STANDARD: Was sagt Staatsbürger Badelt dazu?
Badelt: Als politisch denkender Mensch vermute ich dahinter den Wunsch, in dieser Institution politische Mehrheitsverhältnisse abzubilden, die sich durch die Wahlen verändern könnten.