Das Yongle Blue Hole, auch bekannt als "Drachenloch", liegt mitten im Südchinesischen Meer und galt bisher mit 300,89 Metern als weltweit tiefste derartige Kaverne. Doch nun muss sich der langjährige Rekordhalter einem noch deutlich tieferen Konkurrenzloch geschlagen geben: Wissenschafter haben das Taam Ja' Blue Hole (TJBH) an der mexikanischen Küste Yucatáns neu vermessen und sind dabei bis in eine Tiefe von 420 Metern vorgestoßen. Aber selbst dort traf man noch nicht auf Grund: Das Loch in einer flachen Lagune erscheint vorerst als bodenlos.

Unter "Blue Hole" versteht man gemeinhin eine große senkrechte Höhle im Meeresboden, ein kreisrundes Senkungsloch unter der Meeresoberfläche, das nach oben hin offen ist. Solche geologischen Strukturen entstehen häufig in Kalkstein oder alten Korallenriffen, meist sind es von Süß- oder Meerwasser ausgeschwemmte große Höhlen, deren Decken irgendwann einmal eingestürzt sind.

Das Taam Ja’ Blue Hole aus der Luft
Bis vor kurzem noch auf Rang zwei, ist das Taam Ja' Blue Hole vor Yucatán nach jüngsten Messungen auf Platz eins der tiefsten Blue Holes der Erde vorgerückt.
Foto: CONAHCYT

Beliebt und gefährlich

Blue Holes sind außerordentlich beliebte Tauchziele. Es gilt als besonders spektakuläre Erfahrung, langsam die senkrechten Wände eines Blue Hole hinabzugleiten, unter seinen Füßen nur tintenblaue Dunkelheit. Doch solche Tauchgänge sind auch gefährlich: Das rund hundert Meter tiefe Blue Hole in Dahab vor der östlichen Sinaiküste beispielsweise gilt als Tauchplatz mit den weltweit meisten tödlichen Tauchunfällen. Bis zu 300 Leben soll dieser riesige Schacht im Riff seit den 1980er-Jahren gefordert haben.

Mit einer ähnlich tödlichen Bilanz kann das Taam Ja' Blue Hole in der Bucht von Chetumal an der Südostküste der Halbinsel Yucatán nicht aufwarten. Das liegt vor allem daran, dass die Region touristisch nicht erschlossen ist und das Blue Hole erst 2021 entdeckt worden war. Die Fläche der kreisrunden Mündung in rund fünf Meter Tiefe beträgt 13.690 Quadratmeter. Damalige Echolot-Messungen kamen auf eine Tiefe von 270 Metern. Doch erfahrungsgemäß sind solche Untersuchungen in komplexen Umgebungen fehlerbehaftet, daher entschloss man sich zu einer neuerlichen Erforschung des geologischen Phänomens.

Das Blue Hole von Taam Ja' in der Chetumal-Bucht beginnt in einer Wassertiefe von rund fünf Metern und reicht in unbekannte Tiefen hinab.
Grafik: Alcérreca-Huerta et al./Frontiers in Marine Science

500 Meter Kabel reichten nicht

"Am 6. Dezember 2023 sollte eine Tauchexpedition am TJBH die dort herrschenden Umweltbedingungen genauer analysieren", berichtet ein Team um Juan Carlos Alcérreca-Huerta vom Forschungszentrum Ecosur in Chetumal nun im Fachjournal Frontiers in Marine Science. Im Verlauf mehrerer Tauchgänge untersuchten die Wissenschafter dafür die oberen 25 Meter der senkrecht abfallenden Wände. Außerdem ließ das Team einen sogenannten CTD-Profiler in die Tiefe hinab.

Das Gerät mit Leitfähigkeits-, Temperatur- und Tiefensensoren stellte zwar einige interessante Besonderheiten fest, den Grund des Lochs fand man damit jedoch nicht: Als die Forschenden die CTD-Sonde von einem Boot aus an einem 500 Meter langen Kabel in das Taam Ja' Blue Hole hinabließen, konnte jedenfalls kein Boden entdeckt werden. Da das Kabel durch Unterwasserströmungen abgetrieben oder durch Felsvorsprünge geknickt worden sein könnte, zogen Alcérreca-Huerta und seine Gruppe sicherheitshalber 80 Meter ab und kamen so auf eine vorläufige Mindesttiefe von 420 Metern.

Video: Tauchgang ins tiefste Blue Hole der Erde.
ECOSURMX

Rekordloch

Wie weit hinunter es von dort noch geht, muss vorerst offen bleiben. Klar ist freilich jetzt schon, dass der unterseeische Abgrund von Taam Ja' das tiefste bekannte Blue Hole der Erde ist. Die bei den aktuellen Untersuchungen gesammelten Daten wiesen unter anderem auch auf unterschiedliche Wasserschichten innerhalb des Blue Hole hin. In einer Schicht knapp unterhalb von 400 Metern entdeckten die Forschenden Temperaturen und Salzgehalt, wie sie auch in den benachbarten Rifflagunen vorkommen.

Für Alcérreca-Huerta ist dies ein Hinweis auf ein verborgenes Netz von Tunneln und Höhlen, die sich zum Ozean hin öffnen. "Dies könnte bedeuten, dass es noch unentdeckte Verbindungen zum Meerwasser der Küstenlagune oder dem mesoamerikanischen Barriereriff-System gibt", spekulieren die Forschenden. Das Rätsel um Taam Ja' ist also noch lange nicht gelöst.

Als Nächstes will das Team noch weiter vordringen und endlich die tatsächliche maximale Tiefe des Blue Hole feststellen. Außerdem könnte sich dort unten eine bisher unentdeckte Artenvielfalt verbergen, die es zu erforschen gilt. "Die physikochemischen und geomorphologischen Prozesse in den tieferen Regionen könnten ein einzigartiges Biotop hervorgebracht haben", sind die Forscherinnen und Forscher überzeugt. (Thomas Bergmayr, 3.5.2024)