Tiflis ist an sich ein gutes Pflaster für die Clubkultur, bekannt für lange Partynächte. Seit rund einem Monat bleiben viele junge Georgierinnen und Georgier nachts aber vor allem deshalb wach, weil sie sich auf den Straßen um die weitere Ausrichtung des Landes sorgen und für den Erhalt der Demokratie kämpfen, wie sie es formulieren. Am Wochenende waren es, Bildern nach zu urteilen, eher Hunderttausende als Zehntausende, die mit ihrem friedlichen Protest die Innenstadt lahmlegten. Sie schwenkten EU-Fahnen, tanzten und forderten lautstark den Stopp des umstrittenen Gesetzes "Über die Transparenz ausländischer Einflussnahme". Am frühen Montagmorgen gingen sie zum Versuch über, den Eingang zum Parlament zu blockieren. Tausendschaften an Polizei wussten dies jedoch unter dem Einsatz von Wasserwerfern, Tränengas und mindestens 20 Verhaftungen zu verhindern.

Der Justizausschuss des georgischen Parlaments hatte den Entwurf dann binnen 67 Sekunden gebilligt. Für Dienstag ist die dritte und finale Lesung im Parlament geplant, danach ist der Weg frei für eine Abstimmung im Plenum, um die Verabschiedung des Gesetzes auf den Weg zu bringen. Auch wenn mit einem Veto der mittlerweile regierungskritischen Präsidentin zu rechnen ist, wird diese wohl von einer neuerlichen Parlamentsmehrheit überstimmt werden – sofern die Regierung nicht in letzter Sekunde doch noch auf die laute Masse hört, wovon aktuell aber kaum jemand ausgeht.

Video: Zehntausende demonstrieren gegen Gesetz zu "ausländischer Einflussnahme."
AFP

"Russisches Gesetz"

Das umstrittene Gesetz dürfte den EU-Beitritt des Landes jedenfalls gefährden – einen Beitritt, den eine breite Mehrheit der Bevölkerung herbeisehnt, die russlandfreundliche Regierung des Landes aber zusehends torpediert. Vom Hohen Vertreter für EU-Außenpolitik, Josep Borrell, hieß es dazu am Montag, dass man wiederholt erklärt habe, "dass Geist und Inhalt des Gesetzes nicht mit den grundlegenden Normen und Werten der EU übereinstimmen". Das Gesetz sei dafür ausgelegt, die Arbeit der Zivilgesellschaft und der unabhängigen Medien zu untergraben. Dennoch bleibe man auf Seite jener Bürgerinnen und Bürger, die in die EU wollen, betonte Borrell. Auch aus dem Außenministerium in Wien heißt es, dass man "die Bürgerinnen und Bürgern Georgiens in ihrem Wunsch nach Sicherung und Stärkung von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit" unterstütze. Man rufe die "georgischen Behörden dazu auf, den berechtigten Anliegen der überwältigenden Mehrheit der Georgierinnen und Georgiern zu entsprechen und den europäischen Weg Georgiens entschlossen fortzusetzen. Auch biete das angekündigte Veto nochmal die Möglichkeit das Gesetzesvorhaben zu überdenken.

EU-Fahnen sind in Tiflis seit Jahren omnipräsent.
REUTERS/Irakli Gedenidze

Tatsächlich ähnelt das von Protestierenden wechselweise als "russisches Gesetz" oder "Gesetz des Verrats" bezeichnete Stück Legislatur in Diktion und Vorhaben jenem in Moskau verabschiedeten Gesetz, das seit 2012 die dortige außerparlamentarische Opposition und Nichtregierungsorganisationen drangsaliert und Regimekritiker hinter Gitter bringt. Auch in Georgien sollen NGOs, die mehr als 20 Prozent ihrer Einnahmen aus dem Ausland erhalten, das künftig offenlegen und damit angeben, "im Interesse einer ausländischen Macht" zu agieren. Geschieht dies nicht, drohen Strafen um die 8700 Euro. Die zahlreichen Kritiker des Gesetzes sehen darin nicht die von der Regierung propagierte Transparenz, sondern einen Vorwand, kritische Stimmen und Medien im Land mundtot zu machen und als "ausländische Agenten" in Haft zu bringen.

Spiel mit der Angst

Nun könnte man sich wundern, warum ausgerechnet "Georgischer Traum", die prorussische und zusehends illiberal agierende Regierungspartei mit starkem Mann im Hintergrund – Bidsina Iwanischwili –, ein solches Gesetz unterstützt, wo doch seit jeher im Raum steht, dass der Kreml die Geldbörse in Richtung der Tifliser Regierung öffnet. Kritiker halten dem jedoch entgegen, dass Russland für seine Einflusskampagnen eben keine offiziellen Kanäle nutzt, die von solch einem Gesetz gedeckt wären.

Internationale Nichtregierungsorganisationen wie Freedom House werfen dem Oligarchen Iwanischwili, der sein Vermögen in den wirtschaftspolitisch wilden 1990ern Russlands gemacht hat, zudem vor, sich in den vergangenen Jahren den kompletten Staat unter die Nägel gerissen zu haben. Er hat nicht nur persönliche Vertraute wie seinen Zahnarzt, seinen Hausarzt und seinen persönlichen Assistenten zu Ministern gemacht, seine loyalsten Mitstreiter kontrollieren auch eine Vielzahl von Medien, Gerichten und Banken im Land.

Seit der russischen Vollinvasion der Ukraine spielt "Georgischer Traum" stärker denn je mit den Ängsten der Bevölkerung. Die Partei verbreitet willfährig im Sinne Moskaus das Argument, dass jedwede weitere Annäherung an den Westen, den Zorn des Kremls auf sich ziehen und ein ukrainisches Schicksal damit auch Georgien ereilen könnte. Das ist insofern erstaunlich, als es eigentlich die Ukraine war, die ein georgisches Schicksal ereilte. Russland hatte Georgien immerhin bereits 1992 und 2008 überfallen. 2013 meinte Iwanischwili, damals noch als Premierminister Georgiens, in einem TV-Interview: "Ich kann nicht glauben, dass es die Strategie Russlands ist, Nachbarländer zu erobern und zu besetzen." Es dauerte kein Jahr, bis Russland seine geschichtsignorierende Prognose durch den Krieg im Donbass widerlegte.

Fokus auf Wahlen

Der opportunistische Schlingerkurs der georgischen Regierung, die nach außen oft eine EU- und Nato-Mitgliedschaft anvisierte, nach innen aber gegen eben jene Politik auftrat, verfängt nun zusehends nicht mehr in der georgischen Bevölkerung. 87 Prozent sehen sich der Ukraine und ihrem Abwehrkampf brüderlich verbunden. Die Chancen der aktuellen Protestbewegung, das Gesetz noch abzuwenden, sind gering. Auch deshalb richten viele Protestierende sowie Präsidentin Salome Surabischwili ihren Blick bereits auf die Parlamentswahlen im kommenden Herbst.

Schon nach der zweiten Lesung des Gesetzes rief die einst von der Regierungspartei nominierte, aber zuletzt sehr regierungskritische Surabischwili die Georgier dazu auf, dieses Gesetz am besten durch eine neue Regierung im Herbst zu beseitigen. Da weite Teile aber auch mit der Oppositionsarbeit unzufrieden sind und keine Galionsfigur in Aussicht ist, gilt der Machtwechsel alles andere als gesichert – noch dazu, da das neue Gesetz die Arbeit der Gegner der illiberalen Demokratie erschweren könnte. (Fabian Sommavilla, 13.5.2024)