Sturm jubelt im Cup-Halbfinale gegen Salzburg über das 4:2.
Im Cup-Halbfinale gegen Salzburg hatte Sturm das bessere Ende für sich, in der Liga wird der Titel im Fernduell entschieden.
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Salzburgs zehn Jahre währender Titelserie droht das Ende, Sturm Graz kann am Sonntag (17 Uhr) in der vorletzten Runde mit einem Sieg beim LASK die Meisterschaft entscheiden. Die erfolgsverwöhnten Bullen haben in den letzten zwei Matches vier Punkte aufzuholen. Dass die Vorzeichen heuer vertauscht sind, hat auf beiden Seiten mehrere Gründe – und lässt sich an zehn entscheidenden Tagen festmachen.

Der 7. Juli 2020 mag eines Tages in die Geschichte des SK Sturm Graz eingehen. Sturms Chefetage rund um den damals noch frischgfangten Sportchef Andreas Schicker und Präsident Christian Jauk legte bei einer mittlerweile sagenumwobenen Strategieklausur die Neuausrichtung des Vereins fest. "Wir haben es nicht geschafft, dass wir eine Mannschaft werden", sagte Schicker am Ende einer verkorksten Saison – und setzte einen Totalumbruch durch. Christian Ilzer durchlebte damals als Austria-Trainer die letzten Züge einer Seuchensaison im doppelten Sinn, erst am 17. Juli wurde sein Wechsel zu Sturm offiziell.

Andreas Schicker und Christian Jauk plaudern.
Andreas Schicker und Christian Jauk fast vier Jahre nach den Tagen, die den Weg von Sturm Graz entscheidend veränderten.
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Am 6. Februar 2021 war längst zu erkennen, dass es bei Sturm bergauf geht. Die ablösefreien Sommertransfers Gregory Wüthrich und Jon Gorenc Stankovic gaben dem Team Stabilität, Ilzers System griff bereits. Für weitere Steigerungen brauchte es aber Geld in der Transferschatulle – und für dieses sorgte Kelvin Yeboah. Sturm holte den damaligen WSG-Goalgetter im Wintertransferfenster 2021 für eine halbe Million Euro; im Jänner 2022 war der damals 21-Jährige dem CFC Genua schon 6,5 Millionen wert. Schicker investierte einen Teil der Einnahmen umgehend in Rasmus Hojlund, das fröhliche Grazer Gelddrucken hatte begonnen. Yeboah schoss für Genua in 31 Spielen übrigens ein Tor.

Am 18. Juli 2023 verlor Red Bull Salzburg sein Mastermind. Christoph Freund sekundierte Ralf Rangnick, als der Deutsche den Klub 2012 ganz ohne Strategieklausur auf den Kopf stellte und sein wegweisendes System etablierte. Nach Rangnicks Abgang führte Freund das Werk als Sportdirektor weiter – bis vergangenen Sommer der große FC Bayern anklopfte. Freund gilt als äußerst heimatverbunden, einen anderen Klub von Weltformat gibt es in Reichweite seines bevorzugten Radius nicht. Der Wechsel war logisch. Längst hat sich gezeigt: Der 46-Jährige fehlt nicht nur als Transferstratege, sondern auch als ordnende Hand und Stabilisator im Hintergrund.

Christoph Freund und Matthias Jaissle beim Meisterfeiern.
Die Abgänge von Christoph Freund und Matthias Jaissle trafen Salzburg aus unterschiedlichen Gründen hart.
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Am 28. Juli 2023, also genau eine Woche nachdem Matthias Jaissle bei einem Pressetermin den Abgang von Christoph Freund bedauert hatte, bedauerte Christoph Freund den Abgang von Matthias Jaissle – oder zumindest die Art des Abgangs. Der zweifache Meistertrainer zischte am Tag vor Salzburgs erstem Saisonspiel nach Saudi-Arabien zu Al-Ahli ab. Im Eiltempo entschied sich der Ligakrösus für die aufgelegte Lösung: Gerhard Struber trat seinen Posten als Chefcoach ohne Saisonvorbereitung an. Und Jaissle? Al-Ahli wird die Saison mit rund 30 Punkten Rückstand auf Al-Hilal wohl auf Platz drei beenden.

Der 3. Jänner 2024 war nur einer von vielen Tagen, an denen Christian Ilzer doch Trainer des SK Sturm Graz blieb. Der mittlerweile 46-Jährige soll im Laufe der Zeit bei YB Bern, Schalke 04, Eintracht Frankfurt und eben vergangenen Winter beim 1. FC Köln im Gespräch gewesen sein – und das sind nur die Klubs, bei denen sein Name in den Medien landete. Bei Sportchef Schicker verhielt es sich ähnlich, Erfolg macht begehrt. Wie oft wirklich ernstes Interesse da war, wird ein Geheimnis bleiben, jedenfalls schlug das Erfolgsduo alle denkbaren Auslandswechselangebote samt saftigen Gehaltssprüngen aus.

Christian Ilzer zeigt.
Christian Ilzer war in der Vergangenheit immer wieder ein gefragter Mann.
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Am 7. April 2024 verletzte sich Fernando. Am 2. September 2023 hatte er sich auch schon verletzt, am 11. November 2023 auch, und das ist nur die Liste der aktuellen Saison. Der geniale Brasilianer hätte Salzburgs Goalgetter und Titelgarant sein können, verletzungsbedingt ist er auf dem Rasen aber nur ein Gelegenheitsgast. Das vorzeitige Saisonende suchte ihn im Heimspiel gegen Rapid heim, zu allem Überdruss gelang Marco Grüll in der 96. Minute per VAR-Elfer das 1:1. Fernando ist nur ein Kapitel der Salzburger Verletzungslitanei, die auch den breitesten Kader an seine Grenzen bringt. Im Saisonfinish fehlt die halbe Stammelf.

Der 19. April 2024 war der Beginn der entscheidenden Saisonphase. Drei Matches gegen Rapid binnen zwölf Tagen würden Sturm den Weg weisen, in der Tabelle waren die Grazer punktegleich mit Salzburg Zweiter. Fußball ist besonders am Ende einer fordernden Saison auch Psychologie, insofern war der nur dank eines Blackouts von Rapid-Goalie Niklas Hedl errungene 1:0-Sieg zum Start des Dreierpacks ein äußerst wichtiger. Sturm durfte zwei Tage lang die Luft der Tabellenspitze verkosten, ehe Salzburg nachzog. Zwei Wochen und zwei weitere Rapid-Matches später waren die Grazer drei Punkte voran, abermals Cupsieger und ein Angstgegner von Grün-Weiß.

Niklas Hedl kniet am Boden, Mika Biereth jubelt auf dem Weg zum Tor.
Mika Biereth erbte in Sturms erstem Meistergruppenduell mit Rapid den Ball und damit das 1:0.
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Am 24. April 2024 schien Salzburg wieder in der Spur zu sein. Drei Tage zuvor hatte der Tabellenführer das erste Spiel unter Neo-Trainer Onur Cinel gegen die Austria Klagenfurt 4:2 gewonnen, auch das Auswärtsmatch in Kärnten schien zum Selbstläufer zu werden. Salzburg führte dank Karim Konatés Doppelschlag nach 18 Minuten 2:0, mit diesem Stand ging es in die Pause. Halbzeit zwei servierte ein kleines bisschen Fußballgeschichte: Erstmals seit 2008 verlor Salzburg nach 2:0-Führung, Andy Irvings Hattrick sorgte für einen sensationellen 4:3-Sieg der Kärntner. Wenige Stunden später übernahm Sturm mit einem 3:1-Sieg in Hütteldorf die Tabellenführung.

Der 28. April 2024 brachte den großen Showdown: Salzburg empfing Sturm mit drei Punkten Rückstand und Vorteilen bei Punktegleichheit. Die Gäste lagen flott 2:0 voran, nur ein Maulwurfshügel und stürmerisches Unvermögen verhinderten eine noch höhere Führung. So kam Salzburg im Finish zurück, spielte die Blackies in Grund und Boden und sägte nach dem Ausgleich gewaltig am Thron des Leaders. Sturm-Goalie Vitezslav Jaros hielt die Tabellenführung mit einem famosen Reflex gegen Roko Simic fest (88.), eine Minute später jubelten die Salzburger umsonst über den vermeintlichen Siegestreffer. Samson Baidoo war vor seinem Kopfballtor im Abseits gestanden. Sturm brachte das Remis über die Zeit und entkam einem verheerenden Nackenschlag.

Ein Sturm- und mehrere Salzburg-Spieler sind nach dem Match erschöpft.
Salzburg kam dem Sieg und der damit verbundenen Tabellenführung im letzten direkten Duell im Finish sehr nahe.
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Am 5. Mai 2024 schwitzten die Fans von Sturm Graz. Der Tabellenführer rettete am drittletzten Spieltag in Unterzahl mit Müh und Not ein 1:1 gegen Hartberg, Salzburg durfte am späten Nachmittag bei den vom Cupfinale demoralisierten Rapidlern antreten – und ließ sich von denen Butter, Salz und Schnittlauch vom Brot nehmen. Dass Rapid 2:0 gewann, lag auch an einer fragwürdigen Schiedsrichterentscheidung: Direkt vor dem zweiten Goal der Grün-Weißen wäre Salzburg ein Elfmeter zugestanden, wie die Bundesliga in ihrem VAR-Rückblick bestätigte. Referee Christian-Petru Ciochirca blieb auch nach einer Fernsehsession bei seiner Entscheidung, für ihn hatte Konaté den Kontakt zu sehr gesucht. Was blieb, waren eine blutleere Salzburger Vorstellung und vier Punkte Rückstand auf Sturm. (Martin Schauhuber, 11.5.2024)