Fußballerflüsterer Ralf Rangnick und Christoph Baumgartner – die exzellente Stimmung innerhalb der Nationalmannschaft hat viel mit ihrer Führung zu tun.
AP/Petr Josek

Berlin – Sonntagmittag war das Stadion "Auf dem Wurfplatz" in Berliner Olympiapark ein Sperrbezirk, was kein Skandal war. Diese Maßnahme hatte aber doch eine humoristische Note, denn Österreichs Fußballteam ist gar nicht zum angekündigten Training erschienen. Ausgetrickst. Nach einer Videoanalyse im Hotel Grunewald fuhr man ohne Vorwarnung durch den Betreuerstab an den nahen Schlachtensee, machte auf einer Wiese ein paar Dehnungsübungen, einige sprangen quietschvergnügt ins Wasser. Ertrunken ist keiner.

Es hat übrigens nicht geregnet, in Berlin hält der Sommer Einzug, das dazugehörige Märchen könnte im Entstehen sein. Es ist üblich, TV-Teams, Fotografen und Journalisten für 15 Minuten zum Training, sofern es stattfindet, zuzulassen. Um sie dann höflich zu ersuchen, eigentlich zu zwingen, zu verschwinden. Natürlich sieht man in der Viertelstunde wenig, Betreuer stecken Stangen in den Rasen, stellen Trinkflaschen bereit. Und dann wärmen sich Christoph Baumgartner und Kollegen gut gelaunt auf. Rückschlüsse erhält man keine, Dehnen ist für den Ausgang eines Fußballspiels sekundär. Es ist nicht davon auszugehen, dass Teamchef Ralf Rangnick irgendetwas beim Anschwitzen revolutioniert, um die Niederlande im letzten Gruppenspiel am Dienstag im Olympiastadion zu übertölpeln. Im taktischen Bereich wäre das eventuell möglich, aber den darf niemand sehen.

Innenverteidiger Gernot Trauner wird fehlen, der 32-Jährige laboriert an einer Muskelverletzung, musste beim 3:1 gegen Polen ausgetauscht werden. Ausgerechnet der famose Trauner, der mit seinem Kopftor zum 1:0 die Basis gelegt hatte, der vermutlich zu den Erfindern der Übersicht, des Stellungsspiels, der Souveränität zählt. Ein Grund zum Jammern? Nein. Österreich hat Alternativen, Kevin Danso, Philipp Lienhart, Max Wöber, Leo Querfeld. In der Breite liegt die Wahrheit.

Fast schon kitschig

Es passt. Der psychische Zustand ist top, der Teamgeist hat Sphären erreicht, die die Grenze zum Kitsch überschritten haben. Man hat sich einfach lieb. Keine Gruppenbildungen, keine Eifersüchteleien, der Neid ist abgeschafft, es ist ein gegenseitiges Pushen.

An Lagerkoller mögen andere leiden, im Idealfall die Niederländer in ihrem Quartier im kaum beschaulichen Wolfsburg. Der Erfolg gegen Polen war der bisherige Höhepunkt in der zweijährigen Rangnick-Ära. Weil es ein Playoff, ein echter Showdown war. Man hat dem Druck standgehalten, wobei der interne größer als der externe war. "Wir haben uns die Latte selbst sehr hochgelegt. Und es ist uns tatsächlich gelungen, sie zu überspringen", sagte Baumgartner.

Und sie wird nun weiter erhöht, das liegt an der Klasse der Niederlande. ARD-Experte Bastian Schweinsteiger hat Österreich mehrmals als Geheimfavorit bezeichnet. Was nett, aber völlig egal ist, diese Schublade überlässt man ihm und anderen Experten. Ein Rad greift vorerst in das andere, das 0:1 gegen Frankreich ist Geschichte, aus der man gelernt hat. Die Emotionen hat man im Griff. Marko Arnautovic ließ sie nach seinem Elfermetertor kurz frei laufen, um sie gleich wieder einzufangen. Der 35-Jährige brauchte den Beweis, wichtig zu sein. Wobei er das im Hinterkopf gewusst hat.

Geballtes Wissen

Lars Kornetka ist Assistenztrainer von Rangnick, man kennt sich seit 17 Jahren, betreibt gemeinsam eine Agentur, die "Rangnick Kornetka Consulting GmbH." Der 46-jährige Deutsche ist der Mann aus der zweiten Reihe, intern ist er absolut gleichberechtigt. "Ralf ist unser Chef, der Entscheidungen selbst fällen kann, aber uns in allen Entscheidungen mitnimmt. Was ihn stark macht, ist, dass er die Leute um ihn herum ernst nimmt. Wir haben enorm viel Expertise und Know-how. Es wäre fatal, dieses Wissen nicht gut einzusetzen."

Analyst Stefan Ösen weiß auch viel. Selbiges gilt selbstverständlich für die Assistenten Peter Perchtold und Onur Cinel sowie für den Tormann-Coach Michael Gspurning.

Kornetka, der einst unter Pep Guardiola, Huub Stevens und Roger Schmid gedient hat, sagt: "Wir probieren alle, alles zu sehen. Wenn einer eine Idee hat, vermittelt er sie den anderen." Eine wesentliche Rolle im Betreuerstab nimmt laut Kornetka David Alaba ein. "Er kann total viele Facetten abdecken."

Lars Kornetka ist Ralf Rangnicks Vertrauter.
APA/GEORG HOCHMUTH

Kornetka verweist auf die körperliche Stärke des Kaders, erfreulich sei die Tatsache, "dass man nie zufrieden ist". Österreich besitze eine extrem schlaue Mannschaft, zudem seien alle vom Spielstil überzeugt. "Ich finde die Art und Weise, wie wir Fußball spielen, ist die schönste Art des Fußballs. Den Ball immer zu bewegen, nach vorne zu pushen oder ihm den Gegner abjagen zu wollen. Man merkt, dass das den Zuschauern Spaß macht, und so werden wir das in Zukunft immer machen, egal, wie die Konstellation ist."

Die Konstellation schaut so aus: Der Achtelfinaleinzug zumindest als Gruppen-Dritter ist praktisch fix, der Teufel müsste da schon durch ein Erdbeben geweckt werden. Gegen die Niederlande erwartet Kornetka "viele Eins-zu-Eins-Situationen." Rangnick könnte am Montag bei der Abschlusspressekonferenz um 14 Uhr also sagen: "Es liegt an uns."

Badeschluss

Das Abschlusstraining findet um 11.45 Uhr ganz ohne Schmäh im Stadion "Auf dem Wurfplatz" statt, das Aufwärmen darf 15 Minuten lang sogar von niederländischen TV-Sendern gefilmt werden. Wer am Dienstag baden geht, wird sich ab 18 Uhr im Olympiastadion weisen. (Christian Hackl aus Berlin, 23.6.2024)