Am Ende flossen Tränen: Leonore Gewessler bekam nicht nur Blumen, sondern auch mehrfache Standing Ovations.
Heribert Corn

Die Laune im Saal lässt nicht vermuten, dass die letzte Wahl mit einem Minus von drei Prozentpunkten verlorenging. Gejohle hebt an, als die Parteiprominenz durch die von Stahlgestänge überspannte Industriehalle schreitet. Minutenlang dauert das Geklatsche. Werner Kogler ist mit dem Busserlverteilen immer noch nicht fertig, als die Moderatoren auf dem Podium längst das Wort ergriffen haben.

Die Hochstimmung ist nicht erst an diesem Samstagvormittag ausgebrochen. Seit Umweltministerin Leonore Gewessler gegen den Willen der Regierungspartnerin ÖVP dem EU-Renaturierungsgesetz zugestimmt hat, scheint vielen Grünen das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht zu weichen. Also mutiert der Bundeskongress in einer zur Eventlocation umfunktionierten Auslieferungshalle der einstigen Anker-Brotfabrik zur Feierstunde für die eigene Heldin. Am Ende sollten Tränen der Rührung fließen.

Lob ohne Ende

"Einen Zug zum Tor braucht's nicht nur vom Baumgartner und Arnautovic, sondern auch von einer Frau", proklamiert Judith Pühringer, als Wiener Co-Parteichefin quasi Gastgeberin, zum Aufwärmen: "Liebe Leonore, das war ein unendlicher Sieg, ein unendlicher Sieg für die Natur."

Dass das Podium in der Folge nicht dem Star der Woche, sondern Parteichef Werner Kogler gehört, liegt am eigentlichen Anlass der Veranstaltung. Zusammengetreten sind die gut 200 Delegierten der Grünen, um ihre Kandidatinnen und Kandidaten für die Nationalratswahl zu küren.

Von vornherein stand fest, dass Kogler auch diesmal an der Spitze der Bundesliste stehen würde. Weil der 62-Jährige die Meriten mitbringt, nicht nur die Grünen nach ihrem Rauswurf aus dem Nationalrat wieder aufgebaut, sondern auch Sebastian Kurz aus der Regierung gekickt zu haben, war klar: Sollte Kogler nach wie vor wollen, gebe es keinen Gedanken an eine andere Option.

Heißes Herz, kühler Kopf

Auch Kogler, mit Headset und aufgekrempelten Hemdsärmeln über die Bühne tänzelnd, kommt nicht an den beiden Triumphen der vergangenen Tage vorbei. Seit er Sportminister sei, werde viel mehr gewonnen, witzelt er über den EM-Sieg der Fußballnationalmannschaft über Polen. Und ja, die Grünen hätten – so wie Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer empört gemeint hatte – tatsächlich ihr wahres Gesicht gezeigt: "Es ist eben so, wir sind die Natur- und Klimaschutzpartei, und wohl die einzige."

Werner Kogler beim Bundeskongress
Mit Headset und aufgekrempelten Hemdsärmeln in Paradepose: Werner Kogler tritt noch einmal an vorderster Front an – und holte sich breite Zustimmung ab.
Heribert Corn

Im nächsten Moment kommt er dem Koalitionspartner aber gleich wieder ein Stück entgegen. Es sei schon auch möglich, die rechtliche Sachlage rund um Gewesslers Solo anders zu sehen, räumte er ein. An einer guten Zusammenarbeit mit Nehammer sei ihm nach wie vor gelegen: "Wir brauchen deshalb nicht nur ein heißes Herz, sondern auch einen kühlen Kopf."

Der folgende "Programmrap", wie Kogler die eigene Rede nennt, dreht sich ebenfalls um das Thema Nummer eins. Von der "reformresistenten Blockadeelite" werde man sich nicht aufhalten lassen, Beispiel Verkehrspolitik. "Wir sind sowieso der Kreisverkehr Europas." Neben dem Klimaschutz ist als Wahlargument noch den Aufbau einer "Brandmauer gegen rechtsextrem" im Angebot. Auf die SPÖ könne man sich da nicht verlassen, argumentiert Kogler. Wer wisse schon, wer dort im nächsten Frühjahr das Sagen habe?

Maurer und Voglauer fallen ab

Das Publikum erwidert mit Standing Ovations und breitem Zuspruch: 94,5 Prozent der Delegierten wählen ihn zum Spitzenkandidaten. Das ist etwas weniger als 2019, als 98,6 Prozent zu Buche standen. Sehr wohl auf dieses Niveau kommen Justizministerin Alma Zadić und natürlich Gewessler. "Ich will von ganzem Herzen, ich will weiterkämpfen", ruft sie in den Saal: "Da geht noch was. Da geht noch viel."

Auch die Abgeordneten Markus Koza und Nina Tomaselli – Platz sechs und sieben der Bundesliste – überspringen die 90-Prozent-Marke. Für zwei Promis gilt das hingegen nicht. Klubchefin Sigrid Maurer landet bei 81,9 Prozent, Generalsekretärin Olga Voglauer bei 73,5 Prozent.

Eine mögliche Erklärung für den Abfall ist die Debatte über die Eignung Lena Schillings als Spitzenkandidatin für die Europawahl. Maurer war einst verantwortlich dafür, bei der Klimaaktivistin zu sondieren, und spielte beim umstrittenen Krisenmanagement eine tragende Rolle. Voglauer hatte eine verunglückte Pressekonferenz hingelegt, der sie Entschuldigungen folgen lassen musste.

Werner Kogler, Leonore Gewessler, Stefan Kaineder
Viel Geherze bei den Grünen: Dass die Partei in den Umfragen notorisch weit unter ihren 13,9 Prozent von der Wahl 2019 liegt, ging weitgehend unter.
Heribert Corn

Der Rest ist Wohlgefallen. Dass die Grünen in den Umfragen an sich seit vielen Monaten weit unter ihrem Wahlergebnis von 2019 liegen, fällt nur in einem Moment auf: In seiner Rede gibt Kogler einen "Startschuss für die Aufholjagd, die wir beginnen".

Ob die Causa Gewessler den Grünen bis zum Wahltag am 29. September Schub geben kann? Manche glauben das durchaus. "Mit Sicherheit – solange nicht wieder etwas Blödes passiert", sagt eine Delegierte: "Denn die Grünen sind auch immer gut dafür, sich ins eigene Knie zu schießen." (Gerald John, 22.6.2024)