Am Montag wurde der japanische Architekt Junya Ishigami mit dem Kiesler-Preis für Kunst und Architektur ausgezeichnet. Ein Gespräch über Zeit, unendliche Räume und sein neues unterirdisches Restaurant in Ube.

Die Herausforderung: Als Architekt etwas Altes bauen.
Ikko Dobashi

STANDARD: Haben Sie in der Maison Owl schon einmal zu Abend gegessen?

Ishigami: Schon oft!

STANDARD: An welches Gericht erinnern Sie sich besonders gut?

Ishigami: Das Restaurant ist ein Crossover aus französischer und japanischer Küche. Mein Lieblingsgericht dort ist Fugu, Kugelfisch.

STANDARD: Die Architektur eines Restaurants ist immer auch Abbild der Architektur auf dem Teller. Inwiefern korrespondiert der Raum mit den darin servierten Speisen?

Ishigami: Gar nicht. Das war auch nicht die Absicht. Als der Bauherr auf mich zugekommen ist, meinte er, dass ihm drei Dinge wichtig seien, und zwar in genau dieser Hierarchie: erstens das Miteinander am Tisch, zweitens die Atmosphäre des Raumes und erst drittens die Qualität der servierten Speisen. Also habe ich mich auf die Punkte eins und zwei konzentriert, während er den Punkt drei konzipiert und bis zur Perfektion weiterentwickelt hat.

Sieben Jahre hat der Bau gedauert.
Junya Ishigami Associates

STANDARD: Sie haben ein unterirdisches Restaurant geschaffen, eine Art Erdraumhöhle. Wie kam es dazu?

Ishigami: Ich habe mit dem Bauherrn vor 20 Jahren schon einmal zusammengearbeitet. Damals habe ich ein Restaurant mit kalten, eckigen, hauchdünnen Stahltischen aus 4,5 Millimeter dickem Stahl entwickelt, denn er hat sich einen coolen, einen richtig kühlen Raum gewünscht. Diesmal war es umgekehrt. Er meinte, er wolle einen Raum, der eine warme, ruhige, gemütliche, ja sogar irgendwie alte Atmosphäre versprüht.

STANDARD: Wie baut man als Architekt etwas Altes?

Ishigami: Das ist das Problem! Ich wollte nicht mit Zitaten, Elementen und historischen Versatzstücken arbeiten, also habe ich mir überlegt, wie ich die Qualität des Alten anderweitig ins Projekt integrieren kann. Das Älteste, das wir haben, ist die Mutter Erde. Genau damit habe ich gearbeitet.

STANDARD: Inwiefern?

Ishigami: Ich habe die Schnittstelle zwischen neuer, technischer, künstlich geschaffener Architektur und alter, organischer, über die Jahrhunderte gewachsener Erde zelebriert.

Zelebriert mit dem Restaurant Maison Owl in Ube die Schnittstelle zwischen künstlich geschaffener Architektur und alter Erde: Junya Ishigami (50).
Chikashi Suzuki

STANDARD: Wie genau lautet das Rezept für dieses Restaurant? Können Sie den Bauprozess beschreiben?

Ishigami: Es handelt sich hier um ein Hanggrundstück, das wir zunächst einmal ein terrassiert und eingeebnet haben. Danach haben wir in die Erde 38 Löcher beziehungsweise Krater hineingegraben, haben in die Löcher Eisenbewehrungskörbe hineingestellt und haben die Negativform anschließend mit Beton ausgegossen. Nachdem der Beton ausgehärtet war, haben wir die rote Erde erst mit Maschinen und am Ende in Handarbeit hinausgeschaufelt. Das war wie eine archäologische Freilegung. Nachdem die Betonstümpfe freigelegt waren, haben wir die Silhouette gescannt und mit dieser digitalen Schablone dann die Glasscheiben angefertigt.

STANDARD: Woher kommt die rote Farbe im Beton?

Ishigami: Von der roten Erde, die sich in den offenen Betonporen festgesetzt hat. Mittels feiner Lehm- und Sandschlämme – wir bezeichnen das im Japan als Tsuchikabe – haben wir die Oberfläche fixiert.

STANDARD: Das klingt alles sehr aufwendig. Wie lang hat die Baustelle insgesamt gedauert?

Ishigami: Sieben Jahre. Die Qualität war wichtiger als der Wettlauf gegen die Zeit.

STANDARD: Wie reagieren die Restaurantbesucher auf diese Form der Architektur?

Ishigami: Sie werden ruhig.

STANDARD: Der österreichische Architekt Friedrich Kiesler hat im Jahr 1950 das sogenannte Endless House entwickelt. Erkennen Sie Parallelen zwischen den beiden Projekten?

Ishigami: Natürlich! Ich weiß nicht, ob die Maison Owl auch ein unendliches Haus ist, so wie das Kiesler in seinen Entwürfen gedacht hat, aber im Sinne des weichen, offenen Raumflusses, im Sinne einer Architektur ohne klassische Elemente wie etwa Wand, Decke und Fenster gibt es durchaus große Analogien. Ich bewundere Kiesler sehr!

STANDARD: Auch Ihre Projekte sind oft unendlich. Sie planen riesige Flugdächer, Landschaftskunstprojekte im Wald und haben erst kürzlich das ein Kilometer lange Zaishui Art Museum in der chinesischen Provinz Shandong eröffnet.

Ishigami: Das Große und Unendliche ist nie mein innerstes Grundanliegen. Es entwickelt sich aus dem Prozess heraus, denn ich will mit der Landschaft und mit der Kraft der Natur arbeiten und eine neue, künstliche Natur erschaffen. Die Größe ist ein Produkt all dieser Parameter.

STANDARD: In einem Interview haben Sie einmal gesagt, Sie möchten die Architektur befreien. Auch Ihre Ausstellung in der Fondation Cartier in Paris im Jahr 2018 trug den Titel "Freeing Architecture". Aus welchen Zwängen möchten Sie sich denn befreien?

Ishigami: Le Corbusier, Mies van der Rohe und viele anderen Architekten der Moderne waren darum bemüht, eine perfekte Standardlösung zu entwickeln und diese dann in riesiger Zahl zu multiplizieren und auf die Menschen auszurollen. Wir wissen, dass dieses Konzept gescheitert ist. Ich will die Architektur aus diesem Irrglauben des Standardisierten Denkens befreien. Wir leben in einer pluralistischen Gesellschaft, die immer heterogener wird. Mein Ziel ist, die Grenzen zu sprengen und auf diese Heterogenität mit einer möglichst großen Zahl an Lösungen zu antworten. Es gibt kein Richtig und kein Falsch, es gibt nur die Fülle an Möglichkeiten für uns alle.

STANDARD: Bevor Sie 2004 Ihr eigenes Büro Junya Ishigami + Associates eröffneten, hatten Sie einige Jahre für das Tokioter Architekturbüro SANAA gearbeitet. Welchen Einfluss hatte SANAA auf Sie?

Ishigami: Bei SANAA habe ich gelernt, die Grenzen des Status quo zu hinterfragen, die Grenzen im Kopf zu sprengen und zu mit unkonventionellen Ideen zu experimentieren. Genau das muss die Aufgabe von Architektur sein.

STANDARD: Ihre Website besteht aus einem einzigen Kontaktformular in Weiß und Hellgrau und minikleiner Schrift. Auch ein Experiment?

Ishigami: Nein. Ich habe schlicht und einfach keine Zeit, mich um eine gute Homepage zu kümmern. Wer mich sucht, der findet mich auch.

STANDARD: Wie würde Ihre perfekte Website aussehen, wenn Sie Zeit hätten?

Ishigami: Wie ein dickes, hochwertig gearbeitetes Buch.

STANDARD: Gibt es ein Projekt, von dem Sie träumen?

Ishigami: Ich würde gerne ein Haus ganz für mich allein planen. Ich hoffe, dass ich eines Tages Zeit dafür finden werde.

STANDARD: Der Friedrich-Kiesler-Preis ist mit 55.000 Euro Preisgeld dotiert. Wissen Sie schon, was Sie mit dem Geld machen wollen?

Ishigami: Meine Baustellen dauern manchmal sieben Jahre. Auch für diese Überlegung muss ich mir etwas Zeit nehmen. Ich weiß es noch nicht. (Wojciech Czaja, 23.6.2024)