Eine Sturmhaube von Pussy Riot als eine zentrale Ikone der Kunst des 21. Jahrhunderts.
Eine Sturmhaube von Pussy Riot als eine zentrale Ikone der Kunst des 21. Jahrhunderts.
EPA/NEIL HALL

In unseren Breiten zählen die Hundepunks in den Stadtzentren ebenso zum – na ja – liebgewonnenen Straßenbild wie die peruanischen Panflöten-Rollkommandos mit El cóndor pasa oder die lebenden Statuen. Diverse Modelabels wie Givenchy, Burberry, Philipp Plein, Rabanne und, und, und bemühen sich ohnehin immer wieder um eines: Die Revolte und der Unmut bezüglich der gesellschaftlichen Gesamtsituation sollen vom einst Ende der 1970er-Jahre aufsässigen Londoner Underground-Modeladen namens Sex von Vivienne Westwood und Malcolm McLaren aus den Hütten der Armen auch in die Hochglanzmagazine, nach Instagram und in die Paläste der Reichen getragen werden: "Punk fashion is the world around us."

An die Grenzen gehen

Allerdings haben The Sex Pistols als Westwoods und McLarens böse Kinder schon damals dank des Songs God Save The Queen erfahren müssen, dass man mit Punk an Grenzen gehen und dafür auch rein körperlich ordentlich in die Fresse bekommen kann. Auch heute noch begibt man sich in nicht so offen liberalen Ländern wie Indonesien oder Burma in mittelbare Lebensgefahr, wenn man als Punk mit Irokesenfrisur, Sicherheitsnadeln und Nietenlederjacke herumläuft. Nadja Tolokonnikowa als eine der Gründerinnen der radikalen Performancegruppe Pussy Riot aus Russland kann davon mehr als ein Lied singen.

Nadja Tolokonnikowa vor ihrem
Nadja Tolokonnikowa vor ihrem "Wutaltar" im Linzer OK.
OK Linz

Die heute 34-jährige Künstlerin, die im Offenen Kulturhaus (OK) in Linz nun ihre Kunst unter dem Titel RAGE (gleich: Wut oder Zorn) erstmals in Europa ausstellt, wanderte 2012 wegen der Performance Punk Prayer in der Moskauer Christ-Erlöser-Kirche mit ihren Kolleginnen für zwei Jahre ins Gefängnis – und bald auch in verschärfte Lagerhaft in Sibirien. Das Vergehen: "Hooliganismus motiviert durch religiösen Hass". Ein Textauszug des Lieds, dessen Melodie auf einem alten Kirchenlied beruht und mit derbem Riot-Grrrls-Punkrock konterkariert wird: "Heilige Mutter Gottes, verjage Putin. Verjage Putin, wir flehen dich an!"

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Pussy Riot protestierten damals in bunten Kleidern und mit heute im aus russischer Sicht dekadenten Westen schon wieder inflationär als politisches Lifestyle-Tool bei den heurigen Wiener Festwochen gebrauchten Sturmmasken musikalisch gegen das Putin-Regime, speziell auch gegen die Unterstützung des Diktators durch den russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill I. Der sah in der Performance überhaupt nichts Geringeres als das Werk des Teufels. Er forderte deswegen für die Frauen härteste Strafen.

Protest noch im Gerichtssaal

Das Privatvermögen des sowohl mit Putin als auch mit dem russischen Inlandsgeheimdienst FSB bestens befreundeten und geschäftstüchtigen Gottesmanns, der heute den russischen Angriffskrieg in der Ukraine gegen seine eigenen dortigen Glaubensbrüder und -schwestern gutheißt, wurde schon vor zwölf Jahren auf fünf Milliarden US-Dollar geschätzt. Künstlerische Provokationen, die auch im Ausland wahrgenommen werden, sind speziell in repressiven Staaten mit einer eigenen Wahrnehmung bezüglich Meinungsfreiheit und Menschenrechten immer ein wenig schlecht fürs "Business".

Noch im Gerichtssaal und im Gefängnis setzten Pussy Riot ihren Protest fort. Diese Form des anarchistischen Widerstands, die von Nadja Tolokonnikowa gerade vor Ort in Linz mit einer durch Mark und Bein gehenden Wutrede und Lärmorgie eröffnet wurde, wird nun auf diversen Bildschirmen dokumentiert.

OÖ Stories

Die Schau der derzeit live mit Pussy Riot nicht aktiven, beeindruckend furchtlos durchs Leben gehenden Nadja Tolokonnikowa widmet sich neben der Dokumentation ihrer diversen Installations- und performativen Arbeiten gegen "Widerstand, Repression und Patriarchat" wie eben des Punk Prayer oder Protesten während der Winterolympiade in Sotschi 2014 auch Zeichnungen, Gemälden und feministischer, mit Blattgold verzierter Ikonenmalerei mit Kreuzen und Frauen unter Pussy-Riot-Masken. Die Ikonen wurden für sie übrigens von Malerinnen in der Ukraine angefertigt.

Pussy Riot

Neben in Plüsch drapierten Nachbauten von heimlich selbstgebastelten, kleinen Messern, die man in russischen Gefängnissen dringend zum Selbstschutz braucht, hängt im Hauptsaal des Museums auch eine tonnenschwere Riesenausführung als "Damoklesschwert" über den Köpfen der Besucherinnen. Dazu sieht man einen Nachbau von Tolokonnikowas Gefängniszelle sowie einen sakralen Raum Marke Pussy Riot. In einem abgedunkelten "Mausoleum" wird in auf Podesten angebrachten Glasbehältnissen "Putins Asche" gezeigt. Die stammt aus der 2022 in der Wüste von Nevada ausgerichteten Aktion Putin's Ashes. Ein Dutzend maskierte, aus Russland, Belarus und der Ukraine stammende Frauen in Masken, schweren Stiefeln und Arbeitskleidung aus der BDSM-Kammer stand da um ein überlebensgroßes Porträt von Putin. Tolokonnikowa drückte auf den roten Knopf: "Dieser Knopf neutralisiert Wladimir Putin." Das Gemälde brannte zu lieblichem Frauengesang vollständig ab und wurde in Glasflaschen eingesammelt.

Eines Tages, so hofft die heute mit Mann und Kind anonym im geheimen Nirgendwo lebende und immer auch an der Grenze von beherztem Dilettantismus und Kitsch arbeitende Künstlerin, kann diese Asche gegen Putins echte Überreste ausgetauscht werden: "Sharpening a knife for Putin / I will not forgive your evil / You burn to the ground / I'm taking you to hell." (Christian Schachinger, 24.6.2024)