Zweieinhalb Jahre tüftelte Paul Nähr mit seinem Team an der Umsetzung veganer Mehlspeisen.
Natalie Paloma

Zwölf Jahre ist er bereits Veganer, so lange hat der Unternehmer Paul Nähr keine Topfengolatsche mehr gegessen. Jetzt hat das Darben ein Ende. Hinter dem Verkaufstresen seiner Konditorei Moriz sind sie aufgereiht, die Golatschen. Daneben liegen österreichische Klassiker wie Linzerschnitten, Punschkrapfen, Nusskipferln, Varianten der Sachertorte. Nähr nennt es das "Startsortiment".

Alles, was in der äußeren Mariahilfer Straße 204 verkauft wird, ist zu 100 Prozent pflanzlich – auf Milchprodukte und Eier wird komplett verzichtet, die Produkte stammen aus biozertifizierten, regionalen Zutaten. Zweieinhalb Jahre Produktentwicklung stecken in den süßen Sachen. Zwei Konditorinnen, ein Patissier, ein Koch sowie eine Lebensmitteltechnikerin probierten so einiges aus. Mehlspeisen vegan umzusetzen sei schwierig, erklärt der Paul Nähr. Nur so viel: "Es wurde viel geflucht."

Die größte Herausforderung? Den Plunderteig für die Croissants ohne Butter hinzubekommen, Margarine habe gänzlich andere Eigenschaften, sagt der gebürtige Wiener. Das Unternehmen setzt zudem konsequent auf regionale Produkte: Bis auf den Kakao und den Kaffee stammen die Rohstoffe aus einem Radius von maximal 200 Kilometern rund um Wien. Topfen und Schlagobers werden selbst gefertigt, Letzteres aus österreichischem Soja und Hafer – auf Cashewnüsse wird bewusst verzichtet.

Eine Topfengolatsche aus selbstgemachtem veganem Topfen.
Veganer müssen endlich nicht mehr auf Topfengolatschen verzichten – Paul Nähr hat auch aus Eigeninteressen diesem Mangel abgeholfen.
Anais Horn

Das alles schlägt sich in den Preisen nieder. Zwar seien vegane Produkte teilweise günstiger als klassische Konditorwaren, zu Buche schlügen die Verwendung biologischer Produkte sowie Demeter-zertifizierte Mehle, erklärt der Gründer. Zudem werde dem Personal mindestens 25 Prozent über dem Kollektivvertrag gezahlt: "Wir wollen zeigen, dass Gastronomie auch anders funktionieren kann."

Große Ambitionen

Der 29-Jährige mit Dutt und Bart ist ein Quereinsteiger, allerdings einer mit großen Ambitionen. Der studierte Philosoph hat zehn Jahre im Eventmanagement für NGOs wie Global 2000 und Südwind gearbeitet. In Rudolfsheim-Fünfhaus geht es um nicht weniger als ein Herzensprojekt. Paul Nähr sitzt an einem der sieben Tische des kleinen Kaffeehauses. Um ihn herum herrscht reges Treiben, am Tag zuvor ist das Moriz eröffnet worden. Vom Thonetstuhl bis zu den Fliesen wirkt hier alles durchdacht, wenn auch noch nicht alles fertig ist – ein Zeitungshalter aus Holz wartet darauf, bestückt zu werden.

"Wir verstehen uns als eine zeitgemäße Interpretation der Kaffeehauskultur, eines einzigartigen Unesco-Weltkulturerbes", meint der Unternehmer. Wie man jenes weiterleben will? "Wir legen Wert auf ein großes Kaffeesortiment, führen eine eigene Röstung, haben eine der bestes Baristas Wiens engagiert." Schrittweise wolle man Frühstück, Bier und Wein anbieten: "Das Wohnzimmer außerhalb der eigenen vier Wände soll hier gelebt werden."

Sieben Tische gibt es derzeit im Moriz im 15. Wiener Gemeindebezirk.
Martin Rausch

In dem Unterfangen steckt nicht nur Leidenschaft, sondern auch Geld. Er habe privat ein Darlehen für das Unternehmen aufgenommen, daneben brauche es vor allem "ein an Fanatismus grenzendes Vertrauen in eine Idee", räumt der Unternehmer ein. Hinter dem Kaffeetresen kann man durch ein Fenster in die Manufaktur schauen, etwa 400 Quadratmeter umfasst das Projekt in dem Eckhaus im 15. Bezirk. In naher Zukunft will man Kaffeehäuser und Hotels mit veganen Backwaren versorgen. Täglich könnten in der verglasten Produktionsküche viele Tausend Stück am Tag produziert werden.

Die Produktionsküche hinter dem Kaffeehaus.
Philip Kosak

Klimt und Katze

Über mangelndes Interesse kann sich die vegane Konditorei bislang nicht beklagen. Kein Wunder, immer mehr Menschen scheinen sich dem veganen Lebensstil zu öffnen, kaum ein Supermarkt kann es sich noch leisten, auf pflanzliche (Ersatz-)Produkte zu verzichten. Vegan ist längst kein Nischenphänomen mehr. Auch die grüne Umweltministerin Leonore Gewessler ist schon in der Backstube im 15. Bezirk gestanden und hat vegane Mehlspeisen verkostet. Auf Social Media posten viele Gäste den neuen Vegan-Hotspot Moriz – kaum zu glauben, dass hier vorher eine Fleischhauerei zu Hause war.

Das Unternehmen tut einiges dafür, um ins Gespräch zu kommen. Unlängst wurde "in einer waghalsigen Nacht-und-Nebel-Aktion" der Slogan des Unternehmens auf die Wand des Secessions-Gebäudes projiziert: "Der Zeit ihre Kost" ist angelehnt an den Wahlspruch der Wiener Secession. Wieso? Namensgeber der Konditorei ist Nährs Urgroßonkel, der mit Gustav Klimt befreundete Fotograf Moriz Nähr. Ihm ist eine kleine Galerie im Hinterzimmer mit Schwarz-Weiß-Fotografien gewidmet: Aus einem Bilderrahmen schauen Klimt und Katze, es ist wahrscheinlich eines der bekanntesten Porträts des Künstlers. Bei allem Fortschritt ist das Projekt auch sehr Wienerisch – ein großer Namen kann nie schaden. (Anne Feldkamp, 22.6.2024)