Leonore Gewessler, Werner Kogler und Karl Nehammer bei einer Pressekonferenz.
Nehammers ÖVP will am Donnerstag eine Anzeige wegen Amtsmissbrauchs gegen die grüne Umweltministerin Leonore Gewessler einbringen.
APA/HELMUT FOHRINGER

Wien/Brüssel – Die ÖVP hat am Donnerstag die von ihr angekündigte Anzeige wegen Amtsmissbrauchs gegen die grüne Umweltministerin Leonore Gewessler eingebracht. In der Anzeige, die der APA vorliegt, wirft die ÖVP ihrer Koalitionspartnerin vor, mit ihrer Zustimmung zur EU-Renaturierungsverordnung "wissentlich ihre Befugnis missbräuchlich ausgeübt" zu haben, weil sie kein Einvernehmen mit den Bundesländern und dem ÖVP-geführten Landwirtschaftsministerium hergestellt hatte.

Die Staatsanwaltschaft Wien bestätigte das Einlangen der Anzeige im Laufe des Donnerstags. Diese werde nun geprüft. Bei Amtsmissbrauch drohen laut Paragraf 302 des Strafgesetzbuchs Freiheitsstrafen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

Gewesslers Ja zur Renaturierungsverordnung hatte die Regierung ordentlich ins Wanken gebracht, Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat sich aber letztlich dagegen entschieden, die Koalition platzen zu lassen. Allerdings kündigte die ÖVP sowohl eine Nichtigkeitsklage beim EuGH als auch eine Amtsmissbrauchsanzeige gegen Gewessler an. Letztere liegt nun vor und soll am Donnerstag namens der Bundespartei bei der Staatsanwaltschaft Wien eingebracht werden. Weitere Anzeigen aus der Partei seien nicht geplant, hieß es zur APA.

Video: Renaturierung - ÖVP verfasste Amtsmissbrauchs-Anzeige gegen Gewessler.
APA

Die angezeigte Ministerin zeigte sich am Donnerstag weiterhin unbeeindruckt. "Ich sehe allfälligen rechtlichen Schritten sehr gelassen entgegen", sagte Gewessler am Rande des Austrian World Summit (AWS) in Wien gegenüber Journalisten. Sie habe dem Renaturierungsgesetz rechtskonform zugestimmt, "und ich folge damit nicht nur der Rechtslage, sondern auch der langjährigen Praxis", betonte sie unter Verweis etwa auf das Veto von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) gegen den von den Grünen unterstützten Schengenbeitritt von Rumänien und Bulgarien. Den Renaturierungsbeschluss lobte Gewessler erneut als "Sieg für die Natur": "Ich bin sehr froh, dass ich einen Beitrag dazu leisten konnte."

Nehammer verteidigt Anzeige

Bundeskanzler und ÖVP-Obmann Karl Nehammer verteidigte bei einem Pressegespräch in Klagenfurt die Anzeige gegen seine Regierungskollegin und warf ihr erneut mehrmals Verfassungsbruch vor. Trotz des Verfassungsbruch wolle er die Regierungszusammenarbeit nicht aufkündigen, weil Österreich dann "Chaos und eine Staatskrise" drohen würden, erklärte Nehammer. Es sei "wichtig, das, was passiert ist, nicht zu ignorieren", weshalb man die Anzeige erstattet habe: "Das Recht ist gebrochen worden, die Bundesverfassung wurde ignoriert, und auch der Koalitionsvertrag." Es brauche ein klares Aufzeigen dessen: "Es kann nicht sein, dass eine Ministerin einfach Recht brechen kann."

Auf Nachfrage, wie man mit einer Politikerin weiter zusammenarbeiten könne, die man für eine Rechtsbrecherin halte, erklärte Nehammer: "Es war nie einfach, aber das Chaos zu vermeiden, steht im Vordergrund." Nehammer war zum Auftakt einer ÖVP-internen Tour, bei welcher der Kanzler Bürgermeistern und Parteifunktionäre trifft, in Klagenfurt.

Die neben der Amtsmissbrauchsanzeige angekündigte Nichtigkeitsklage der ÖVP beim EU-Gerichtshof gegen Gewesslers Votum sei "juristisches Neuland", sagte ÖVP-Landwirtschaftsminister Totschnig am Donnerstag. Die Ministerin habe sich "über die Verfassung hinweggesetzt", betonte auch er. Als "sehr schlechter Präzedenzfall" bezeichnete hingegen ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg Gewesslers EU-Vorgehen.

Gewessler soll sich über Bundesländerveto hinweggesetzt haben

Die Argumente in der von der Kanzlei des Rechtsanwalts Werner Suppan verfassten Strafanzeige sind hinlänglich bekannt: Gewesslers Zustimmung auf EU-Ebene sei "nach innerstaatlichem österreichischen Recht zu Unrecht erfolgt und verstößt gegen die einschlägigen verfassungsgesetzlichen und einfachgesetzlichen Vorgaben", heißt es darin. Es sei eine ablehnende einheitliche Stellungnahme der Bundesländer vorgelegen, außerdem habe die Ministerin nicht das Einvernehmen mit dem Landwirtschaftsministerium hergestellt.

Die Verordnung betreffe mit dem Naturschutz Angelegenheiten, in denen die Gesetzgebung auch Landessache sei. Die Bundesländer hätten dazu im November 2022 eine einheitliche ablehnende Stellungnahme abgegeben, die im Mai 2023 durch eine weitere einheitliche Stellungnahme der Länder ergänzt worden sei. Eine Abweichung von einer einheitlichen Stellungnahme der Bundesländer sei nur aus zwingenden Integrations- und außenpolitischen Gründen möglich, die hier nicht ersichtlich seien, heißt es in der Anzeige.

Der inzwischen erfolgte Meinungsumschwung in Wien und Kärnten ändert für die ÖVP nichts: "Eine anderslautende dahingehende einheitliche Stellungnahme der Bundesländer, wonach sie dem Vorhaben der Renaturierungsverordnung nunmehr zustimmen würden, ist ungeachtet der Meinungsäußerungen einzelner Bundesländer in der Folge nicht zustande gekommen", wird betont. Gewessler habe sich also über die einheitliche Länderstellungnahme "entgegen ihrer verfassungsgesetzlichen Bindung hinweggesetzt".

"Befugnis missbräuchlich ausgeübt" 

Weiters wird argumentiert, dass Bundesministerien bei Geschäften, die den Wirkungsbereich mehrerer Ressorts betreffen, entweder gemeinsam oder zumindest im Zusammenwirken mit den beteiligten Bundesministerien vorzugehen hätten. In diesem Fall sei das Landwirtschaftsministerium berührt. Gewessler habe aber weder das Einvernehmen mit dem Landwirtschaftsministerium hergestellt noch eine Beschlussfassung der Bundesregierung herbeigeführt, "obwohl ihr eine entsprechende Ablehnung der Renaturierungsverordnung durch das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft bekannt war".

Werner Kogler gibt ein Interview.
Grünen-Parteichef Werner Kogler möchte trotz Regierungskrise an der Koalition mit der ÖVP festhalten: "Wir sind ja nicht im Kindergarten oder auf irgendeinem Jugendlager, wo man sich beleidigt zur Seite dreht."
APA/EVA MANHART

Dass all dies notwendig gewesen wäre, argumentiert die ÖVP auch in der Anzeige mit einer entsprechenden Information des Verfassungsdienstes im Kanzleramt. Es liege also "der Verdacht nahe, dass der Straftatbestand 'Missbrauch der Amtsgewalt' gemäß Paragraf 302 StGB erfüllt ist", meint die ÖVP. Denn Gewessler habe "funktionell als 'Beamtin'" wissentlich ihre Befugnis missbräuchlich ausgeübt, "indem sie dem Vorhaben mit dem (zumindest bedingten) Vorsatz, die betroffenen Bundesländer sowie das betroffene Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft (also den Bund) in ihren Rechten zu schädigen, zugestimmt hat".

Die von Gewessler eingeholten Gutachten seien "private Expertisen", die zeigen würden, dass sich die Angezeigte "völlig eindeutig darüber im Klaren war, dass ihr geplantes und angekündigtes Vorgehen offensichtlich gesetzes- und verfassungswidrig war". Damit sei "ihre Wissentlichkeit beim vorgenommenen Befugnismissbrauch hinlänglich dokumentiert", schreiben die ÖVP-Anwälte in der Anzeige.

Experte bezweifelt Strafbarkeit

Robert Kert, Leiter des Instituts für Österreichisches und Europäisches Wirtschaftsstrafrecht an der Wiener Wirtschaftsuniversität (WU), sieht im Verhalten von Umweltministerin Gewessler keinen Amtsmissbrauch. Bei der Abstimmung handle es sich um einen Akt der Gesetzgebung, und Tätigkeiten im Rahmen der Gesetzgebung seien nicht vom Straftatbestand des Amtsmissbrauchs erfasst, erklärt Kert. Für die Beurteilung, ob etwas unter den Straftatbestand des Amtsmissbrauchs subsumiert werden könne, komme es immer auf die konkrete Handlung an. Zudem führe die Abstimmung auch in der Folge nicht zu einem Hoheitsakt. Nicht zuletzt würde eine Strafbarkeit auch an der erforderlichen "Wissentlichkeit" scheitern. Diese liege deshalb nicht vor, weil es in der Causa offenbar keine eindeutige Rechtslage gebe. (APA, red, 20.6.2024)