Das Entsetzen über die brutale Vergewaltigung eines zwölfjährigen Mädchens in dem Pariser Vorort Courbevoie war auch am Donnerstag sehr groß. Laut ersten Erkenntnissen der Polizei hatten drei Zwölf- und Dreizehnjährige ein ihnen bekanntes Mädchen in ein verlassenes Gebäude gezerrt; zwei der Jugendlichen vergewaltigten die Schülerin mehrmals. Einer drohte mit seinem Feuerzug, er werde sie in Brand stecken. Ein Dritter, der sich nicht an der Vergewaltigung beteiligte, soll die Tat gefilmt haben.

Protest und israelische Fahne
"Vergewaltigt mit zwölf, weil sie Jüdin ist" – ein Protestplakat vor dem Pariser Rathaus.
AFP/ALAIN JOCARD

Das Mädchen kehrte nach der Tat zu seiner Familie zurück, die auf der Polizeiwache umgehend Anzeige erstattete. Die Täter wurden festgenommen und in Untersuchungshaft genommen. Ermittelt wird unter anderem wegen Vergewaltigung, Gewaltausübung, Todesdrohung – all dies mit dem erschwerenden Umstand der Zugehörigkeit des Opfers zu einer Religion. Die Strafmündigkeit beginnt in Frankreich faktisch mit 13 Jahren.

Als Motiv gab einer der Täter an, die Schülerin sei seine Freundin gewesen; sie habe ihm aber verheimlicht, dass sie Jüdin sei. Zur Identität der jungen Täter war abgesehen von ihrem erschreckend jungen Alter vorerst nichts bekannt.

Proteste vor Rathaus

Am Mittwochabend versammelten sich mehrere Hundert Menschen vor dem Pariser Rathaus, um gegen den zunehmenden Antisemitismus in Frankreich zu protestieren. "Mit zwölf vergewaltigt, weil sie Jüdin ist", lautete der Spruch auf einem Transparent. Andere äußerten sich allgemeiner: "Opfert nicht die jüdischen Franzosen" oder "Stehen wir gegen den Antisemitismus zusammen".

Organisiert wurde die Kundgebung durch das Kollektiv Nous Vivrons, das nach der Hamas-Attacke auf Israel am 7. Oktober entstanden war. Seither hat sich die Zahl antisemitischer Angriffe in Frankreich verdreifacht, wie Premierminister Gabriel Attal erklärte.

Zehn Tage vor dem ersten Durchgang der von Präsident Emmanuel Macron angesetzten Neuwahl nahm die Kundgebung eine politische Färbung an. Zu sehen waren auch Transparente mit der Aufschrift: "Nein, in Frankreich gibt es nicht nur einen 'Restantisemitismus'." Diesen Ausdruck hatte Linkenchef Jean-Luc Mélenchon geprägt, womit er die Angriffe auf französische Juden nach deren Meinung bagatellisierte. Justizminister Eric Dupont-Moretti nahm an der Demo vor dem Pariser Rathaus teil und erklärte: "Auf die Brandstiftung folgen die Brände" – eine klare Kritik an Mélenchons Partei Das unbeugsame Frankreich (LFI).

Mélenchon
Jean-Luc Mélenchon bagatellisiere den Antisemitismus in Frankreich, sagen seine Kritiker.
AFP/JOEL SAGET

Sie hatte die israelische Replik im Gazastreifen im Europawahlkampf verurteilt und die Anerkennung des Palästinenserstaates gefordert. Mélenchon zeigte sich in sozialen Medien "entsetzt" über die Vergewaltigung der zwölfjährigen Schülerin. Er geißelte das „kriminelle maskuline Verhalten im jüngsten Alter" sowie den "antisemitischen Rassismus". Mit dem Opfer erklärte er sich solidarisch.

Die Grünen-Sekretärin Marine Tondelier – deren Partei mit LFI in einer Wahlallianz verbunden ist – verbat sich ihrerseits jede Instrumentalisierung. Der Antisemitismus und die Gewalt gegen Frauen seien so schlimm, dass jede politische Ausschlachtung "unanständig" wäre.

Die Chefin des rechtspopulistischen Rassemblement National, Marine Le Pen, griff dagegen die Mélenchon-Partei an, der sie vorwarf, den Nahostkonflikt zur Störung des sozialen Friedens in Frankreich zu nützen.

Macron erteilte seiner Bildungsministerin Nicole Belloubet den Auftrag, in den nächsten Tagen in den französischen Schulklassen Diskussionsrunden zu den Themen Rassismus und Antisemitismus zu organisieren. (Stefan Brändle aus Paris, 20.6.2024)