Polizisten in schwerer Schutzausrüstung stehen bei einem Lieferwagen.
Mittwochnacht bedrohte ein Mann Polizeibeamte mit einer Langwaffe und wurde von den Einsatzkräften erschossen.
APA / TOBIAS STEINMAURER

Wien – Gerade einmal neun Tage ist es her, da attackierte ein tobender, blutbefleckter 26-Jähriger in Wien-Floridsdorf mit einer Axt die seinetwegen angerückten Polizeibeamten. Zuvor hatte er seine Mitbewohnerin getötet. Vergangene Nacht wurden Polizisten erneut während eines Großeinsatzes bedroht. Diesmal zielte ein 39-jähriger Österreicher in der Brigittenau mit einem Gewehr auf die Einsatzkräfte, die von Anrainern gerufen wurden, weil der Mann zuvor offenbar mit einem Messer bewaffnet durch die Straßen gelaufen war. Nach dem Eintreffen der Polizei verschanzte sich der Verdächtige in seiner Wohnung und bedrohte die Beamten zuerst von der Wohnungstür aus, dann vom Balkon aus mit der Waffe. Sowohl beim Einsatz in Floridsdorf als auch in der Brigittenau waren nicht nur die Polizisten in Gefahr: Beide Einsätze endeten mit dem Tod der Verdächtigen – durch Schüsse der Polizei.

18 Tote in 16 Jahren

Zwei Tote in knapp eineinhalb Wochen: Ein Indiz für übermäßige Polizeigewalt? Wirft man einen Blick auf die jüngsten Zahlen der Waffengebräuche bei Einsätzen, zeigt sich, dass tödliche Schüsse in Österreich die Ausnahme darstellen: 2022 wurde bei 213 Amtshandlungen 654-mal von der Waffe Gebrauch gemacht. 137 Personen wurden leicht, vier schwer verletzt und niemand getötet. Für 2023 weist die vorläufige Statistik des Ministeriums bei 202 Amtshandlungen 328 Waffengebräuche auf. 65 Personen wurden demnach leicht, drei schwer verletzt, und zwei Menschen wurden erschossen. In den vergangenen 16 Jahren starben 18 Menschen durch den Schusswaffeneinsatz der Polizei.

Die Regel der "gerechten Notwehr"

Den Gebrauch von Dienstwaffen regelt in Österreich das Waffengebrauchsgesetz von 1969. Zur Waffe greifen dürfen Exekutivorgane wie Polizistinnen und Polizisten und Gemeindewachebeamte demnach etwa im Fall von "gerechter Notwehr", um den Widerstand gegen eine Amtshandlung zu überwinden, um eine Festnahme vorzunehmen oder um die Flucht eines Festgenommenen zu verhindern. Auch dann ist der Waffengebrauch gesetzlich nur zulässig, "wenn ungefährliche oder weniger gefährliche Maßnahmen", darunter die Androhung des Waffengebrauchs, die Verfolgung eines Flüchtenden, die Anwendung von Körperkraft oder gelindere Mittel wie Handfesseln, "ungeeignet scheinen oder sich als wirkungslos erwiesen haben." Stehen verschiedene Waffen zur Verfügung – zu den Dienstwaffen zählen etwa auch Tränengas oder Einsatzstöcke –, darf nur die am wenigsten gefährlich scheinende eingesetzt werden. Zweck des Waffengebrauchs gegen Menschen darf nur sein, die Zielperson "angriffs-, widerstands- oder fluchtunfähig zu machen".

Was aber gilt als "gerechte Notwehr"? Grundsätzlich wird "Notwehr" laut dem Strafgesetzbuch als eine Handlung zur Verteidigung definiert. Sie darf nur gesetzt werden, um einen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden Angriff auf Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, sexuelle Integrität und Selbstbestimmung, Freiheit oder Vermögen von sich oder anderen abzuwehren. Das Waffengebrauchsgesetz zieht die Grenzen enger: Laut Paragraf 7 ist der Einsatz der Dienstwaffe zur Verteidigung eines Menschen zulässig, um einen Aufstand oder Aufruhr zu unterdrücken, sowie in bestimmten Fällen von Festnahmen oder zur Fluchtverhinderung. Und: Zur Festnahme oder Verhinderung des Entkommens "eines Geisteskranken, der für die Sicherheit der Person oder des Eigentums allgemein gefährlich ist".

Ob die Beamten während der Einsätze in Floridsdorf und der Brigittenau den gesetzlichen Vorgaben entsprechend gehandelt haben, ist nun – wie nach (tödlichen) Schussabgaben durch die Polizei üblich – Gegenstand von internen Ermittlungen der Abteilung Ermittlungs- und Beschwerdestelle Misshandlungsvorwürfe des Bundesamts zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK-EBM). (bock, APA, 20.6.2024)