Ein Ukrainer übt auf einem kargen Trainingsgelände mit einer Drohne
Ein Ukrainer trainiert in der Nähe von Kiew mit einer Drohne. Crowdfunding durch Privatpersonen sei in Europa zum Beispiel für handelsübliche Drohnen zu beobachten, sagt Militärexperte Karner.
AFP/GENYA SAVILOV

Russlands Krieg gegen die Ukraine tobt seit rund 850 Tagen. Westliche Politiker und Militärexperten sprechen längst von einem erbitterten Abnutzungskrieg im Osten und Süden der Ukraine. Präsident Wolodymyr Selenskyj braucht daher weiterhin Waffensysteme, um sein Land vor der russischen Unterwerfung zu schützen. Die USA haben im April zwar 57 Milliarden Euro für Militärhilfen lockergemacht – aber reichlich spät. "Die Hilfe kommt viel zu spät, da die Ukraine aufgrund des Materialmangels im Oktober 2023 die Initiative verloren hat", kommentierte Kateryna Stepanenko vom amerikanischen Institute for the Study of War die Situation. Europa zeigt bei Militärhilfen ohnehin keine Geschlossenheit.

Dabei sind Staaten wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien wirtschaftlich jeweils stärker als Russland, zusammen sind sie es sogar um ein Vielfaches. Einmal abgesehen von politischen Erwägungen wäre das Geld, um Wladimir Putins Truppen zurückzuschlagen, im Westen also theoretisch da.

Crowdfunding im Krieg

Neben zahlreichen Initiativen, humanitäre Hilfe für die ukrainische Bevölkerung zu leisten, gibt es daher auch ein paar zivile Projekte, die dem Land auf privaten Wegen Geld ausdrücklich für militärisches Equipment zukommen lassen wollen. Diese finden sich vor allem in osteuropäischen Nato-Staaten. Ihr Prinzip: Crowdfunding für den Krieg.

So dienen die Spenden der Nichtregierungsorganisation (NGO) Blue/Yellow aus Litauen nach deren eigenen Angaben zu 95 Prozent militärischen Zwecken. Blue/Yellow liefert ukrainischen Soldaten zum Beispiel Fahrzeuge und Nachtsichtgeräte, vor allem aber Drohnen. Auch eine tschechische Plattform mit dem kämpferisch-ironischen Namen "Geschenk für Putin" wirbt explizit um Spenden für Waffen und Munition. 2022 stiftete die Plattform der Ukraine sogar einen modernisierten T-72-Panzers aus der Sowjetzeit. Spenden für den Zweck "Defensive" ermöglicht auch eine offizielle Website der Ukraine, u24.gov.at.

Blue/Yellow berichtet, seit dem Jahr 2014 rund 85 Millionen Euro für die Ukraine gesammelt zu haben. Die tschechische Plattform Geschenk für Putin nennt Einnahmen von bisher mehr als 33 Millionen Euro. Überprüfbar sind diese Zahlen nicht. "Der Einfluss solcher Sammlungen ist begrenzt, dennoch sind sie nicht wirkungslos", sagt der Militärexperte Gerald Karner. "Ein interessanter Aspekt am Crowdfunding ist, dass ich zum Beispiel eine hohe Zahl an handelsüblichen Drohnen beschaffen kann. Hat die Ukraine viele Drohnen zur Verfügung, sättigt das auch das russische Abwehrsystem. Diese Praxis hilft der Ukraine sehr."

Jonas Oehman mit zwei Mitstreitern im Kriegsland Ukraine
Der schwedische Aktivist Jonas Oehman (links), Obmann der Organisation Blue/Yellow: "Wir liefern nur nicht-tödliches Equipment in die Ukraine. Um Waffen und Munition zu bringen, haben wir keine Genehmigungen. Ich würde es aber gerne machen."
Blue/Yellow

Faktor Neutralität

Aber könnte man in Österreich, wenn man das will, überhaupt offiziell für militärische Ausrüstung der Ukraine spenden? Schließlich ist Österreich ein neutraler Staat, wie es im Neutralitätsgesetz von 1955 festgehalten ist. Und in Paragraf 320 im Strafgesetzbuch wird die "Unterstützung von Parteien bewaffneter Konflikte" verboten. Wer einer Kriegspartei "für militärische Zwecke einen Finanzkredit gewährt oder eine öffentliche Sammlung veranstaltet", mache sich strafbar, heißt es da.

Der Völkerrechtsexperte Ralph Janik stellt auf Anfrage aber fest, dass eine Überweisung zum Zwecke des Kaufs militärischer Ausrüstung in Österreich kein Straftatbestand sei. "Als Einzelner darf ich der Ukraine spenden, damit das Land Kriegsmaterial kaufen kann. Das bloße Überweisen ist strafrechtlich kein Problem", sagt Janik.

Würde ein heimisches Geldinstitut eine Transaktion zur Finanzierung militärischer Ausrüstung im Ausland auch durchführen? Anfragen des STANDARD an die Erste Bank, die Volksbank und die Bank Austria blieben bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

Die tschechische Website geschenkfurputin.de sammelt derzeit Geld für Drohnen, Munition, Hubschrauber und gepanzerte Fahrzeuge. Vor zwei Jahren finanzierte man der Ukraine nach eigenen Angaben auch einen modernisierten T-72-Panzer.
Nadacní fond pro Ukrajinu

Ausweichen auf Krypto

Einige Organisationen, die der Ukraine humanitär oder auch militärisch helfen wollen, bieten ohnehin auch Zahlungen in Kryptowährungen. Die litauische Spendensammlung Blue/Yellow gibt auf ihrer Website für potenzielle Gönner Bitcoin, Ethereum und mindestens zwölf weitere Kryptowährungen an. "Die Möglichkeit gibt es natürlich. Da gibt es definitiv eine Lücke in der rechtlichen Durchsetzung", sagt Rechtsexperte Janik auf Nachfrage.

Kann man der Ukraine von Österreich aus also Kriegsgerät (mit)finanzieren? Vermutlich ja, aber es ist komplizierter als in anderen Ländern.

Eine Karte zeigt den aktuellen Frontverlauf zwischen Russen und Ukrainern
Der Frontverlauf zwischen Russland und der überfallenen Ukraine laut demInstitute for the Study of War, Stand 14. Juni.

Potenziell tödliche Spenden

Auf politischer Ebene gibt es keine Anzeichen, dass Österreich von seiner Neutralität abrückt. Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) erklärte eine Diskussion darüber im März 2022 für beendet, bevor sie begonnen hatte. Österreich werde auch keine Entminungshilfe in der Ukraine leisten, sagte der Kanzler im Vorjahr zu einer solchen Bitte aus Kiew.

Im EU- und Nato-Land Litauen ist die Stimmung völlig anders. Dort sorgt die Organisation Blue/Yellow dafür, dass Massen an Drohnen vom Typ DJI Mavic sowie First-Person-View-Drohnen in die Ukraine gelangen. First Person View bedeutet, dass man aus der Distanz das Blickfeld der Drohne sieht. Blue/Yellow sammelt damit Geld für Equipment, das ukrainische Techniker in tödliche Offensivwaffen umbauen können.

"Wir spenden militärische Geräte, mit deren Hilfe russische Soldaten getötet werden. Das sagen wir ganz offen. Das ist für viele in Europa ein unangenehmer Gedanke, weil sie denken, wir sind nicht im Krieg. Aber wir sind im Krieg", sagt Jonas Oehman dem STANDARD am Telefon. Der in Litauen lebende Schwede ist Obmann von Blue/Yellow. Er betont: "Wir sind eine sehr große NGO in Litauen." Spenden für Militärgerät kämen auch aus Skandinavien, England, Israel, den USA und Kanada.

TV-Chefin Monika Garbačiauskaitė-Budrienė in einem rosa Hemd vor einer geschwungenen Mauer
TV-Chefin Monika Garbačiauskaitė-Budrienė: "Wir wissen in Litauen: Wenn die Ukraine verliert, sind wir als Nächste dran."
E.Blazys/LRT

Litauens TV sammelt für die Front

Auch Litauens öffentlich-rechtlicher Fernsehsender LRT sammelt Spenden für das ukrainische Militär – in Österreich wohl undenkbar. Die LRT-Kampagne Radarom!, an der Blue/Yellow und andere Organisationen mitwirkten, rief heuer zum zweiten Mal zu Spenden für Radar- und Nachtsichtgeräte für ukrainische Soldaten auf. "Es gab in Litauen keine große Debatte über diese Aktion. Die Menschen in Litauen betrachten es als sehr wichtig, die Ukraine zu unterstützen", sagt Monika Garbač iauskaitė-Budrienė, die Generaldirektorin von LRT, dem STANDARD. "Wir wissen in Litauen: Wenn die Ukraine verliert, sind wir als Nächste dran."

Im Jahr 2023 habe Radarom! rund 14 Millionen Euro für Militärequipment gesammelt, in diesem Jahr noch einmal 8,5 Millionen Euro. "In der Geschichte unseres Landes ist noch nie für irgendeine Sache so viel gespendet worden wie für die Radargeräte der Ukrainer", sagt die Senderchefin.

Einfluss "selbstverständlich möglich"

Auch wenn die Beträge, die private Initiativen für militärische Zwecke auftreiben, mit staatlichen Summen nicht mithalten können, hält Militärexperte Karner diese auch für psychologisch relevant: "Den Menschen in der Ukraine ist es unglaublich wichtig, das Gefühl zu bekommen, vom Westen unterstützt zu werden, und zwar nicht nur von Staaten, sondern auch von Personen." Dass ein Crowdfunding für die Verteidigung der Ukraine oder auch für spätere Kriege kein Faktor sein kann, glaubt er ohnehin nicht. "Wenn es zu einer massiven Bewegung käme, die Milliardenbeträge aufbringt, hätte das selbstverständlich einen Einfluss auf die Kriegsführung", sagt er. Nachsatz: "Es wäre allerdings sinnvoll, diese Vorhaben mit dem ukrainischen Verteidigungsministerium zu koordinieren." (Lukas Kapeller, 22.6.2024)