Ivica Vastić, Österreichs erster Torschütze bei einer Fußball-Europameisterschaft.
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Happelstadion, 12. Juni 2008, 22.30 Uhr: Österreich liegt gegen Polen im zweiten Gruppenspiel der Euro 2008 0:1 zurück. Sebastian Prödl wird bei einer Flanke zu Fall gebracht, der Schiedsrichter entscheidet auf Elfmeter. Ivica Vastić tritt an, wuchtet den Ball ins linke Eck und sichert dem ÖFB-Team einen Punkt.

Damals war Vastić 38 Jahre und 257 Tage alt, damit war er bis zum aktuellen Turnier in Deutschland der älteste EM-Torschütze der Geschichte. "Der Rekord ist eine Ehre für mich, aber wenn mich Spieler wie Ronaldo oder Modric übertreffen, ist das genauso eine Ehre und würde mich nicht traurig machen", sagt Vastić. Bis heute ist er der einzige Österreicher, der bei einer EM und einer WM ein Tor erzielt hat. Im STANDARD-Interview erinnert er sich an 2008, den Anruf von Trainer Josef Hickersberger und Freibier als Prämie für seinen Treffer.

STANDARD: Wie oft denken Sie noch an den verwandelten Elfmeter?

Ivica Vastić: Nicht so oft. Das ist schon längst vorbei. Aber alle vier Jahre werde ich daran erinnert.

STANDARD: Sind Sie stolz auf das Tor?

Vastić: Natürlich erinnert man sich gerne, aber wie sagt man so schön: Das ist Schnee von gestern.

STANDARD: Was ging Ihnen vor dem Elfmeter durch den Kopf?

Vastić: Ich war nicht nervös. Erst später habe ich realisiert, wie wichtig dieses Tor war. Mit Elfmetern hatte ich Routine, ich habe sie immer geschossen in meinen Teams. Die Europameisterschaft war eine außergewöhnliche Gelegenheit, ein Tor zu erzielen. Vom Elfmeter hat abgehängt, ob wir weiter eine Chance haben, gegen Deutschland in ein Entscheidungsspiel zu gehen. Vor dem Elfmeter habe ich mich nur auf den Schuss fokussiert, damit ich das Tor mache.

STANDARD: War es von Beginn an klar, dass Sie den Elfmeter schießen werden?

Vastić: Da gab es keine Diskussionen.

STANDARD: Waren die Teamkollegen vielleicht sogar froh, dass Sie den Ball, die Verantwortung übernommen haben?

Vastić: Das müssen Sie die Kollegen fragen.

STANDARD: Den Elfmeter haben Sie scharf ins linke Eck geschossen. War das Ihr Stil bei Strafstößen?

Vastić: Ich habe immer variiert. Im Vorfeld habe ich den Tormann beobachtet, wie er sich bei Elfmetern verhält. Umso entschlossener war ich, in diese Ecke zu schießen. In der Vorbereitung gab es eine Elfmetersituation, da hat er genau das gleiche gemacht wie gegen mich.

Ivica Vastic und Jürgen Säumel beim Torjubel
Vastić freut sich über seinen verwandelten Elfmeter, Jürgen Säumel jubelt mit.
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STANDARD: War das eines Ihrer wichtigsten Tore?

Vastić: Das würde ich so nicht bezeichnen. Jedes Tor ist schön und wichtig.

STANDARD: Damals hat Sponsor Ottakringer eine Prämie ausgerufen. Jedem österreichischen EM-Torschützen wurde ein lebenslanger Vorrat Bier versprochen. Gilt das bis heute?

Vastić: Nein, seit zehn Jahren schon nicht, glaube ich. In den ersten zwei Jahren hat das gehalten, dann nicht mehr. Das ist auch okay.

STANDARD: Im Rahmen der EM gab es eine Werbekampagne mit Nutella, bei der Sie später auch mit Andreas Dober, Stefan Maierhofer und Marc Janko mitspielten. Gab es im Trainingscamp zum Frühstück wirklich Nutella?

Vastić: Puh, das weiß ich nicht mehr, ob da ein Glas auf dem Tisch gestanden ist. Es ist zu lange her. Aber Nutella habe ich sehr gerne gegessen. Am liebsten hatte ich Nutella in Palatschinken.

Nutella-Werbung mit Vastic, Janko, Dober und Maierhofer
elsupaflucky

STANDARD: Kam die Nominierung von Teamchef Josef Hickersberger für Sie überraschend?

Vastić: Ich habe es gehofft, dabei zu sein. Er hat mich angerufen und mit gesagt, dass er mich gerne dabei hätte, weil ich es durch meine Leistungen in der Liga verdient hätte. Letztlich war es seine Sache, ich habe mich gefreut.

STANDARD: Im Land herrschte eine Euphorie. Wie fühlte sich das im ÖFB-Team an?

Vastić: Ich finde, die Stimmung war gut. Es gab irgendwie einen Generationenwechsel. Viele junge, hungrige Spieler waren dabei, die später gezeigt haben, dass sie Leistungsträger des Nationalteams werden. Ich denke da an Martin Harnik, Marc Janko oder Sebastian Prödl. Vielleicht kam diese Europameisterschaft für diese Gruppe an Spielern etwas zu früh. Zwei oder vier Jahre später wären sie richtig gut gewesen.

STANDARD: Das Viertelfinale wurde letztlich verpasst. War mehr drin?

Vastić: Ja, es war knapp gegen Kroatien, es war auch knapp gegen Deutschland. Und gegen Polen hatten wir Möglichkeiten, das Spiel zu gewinnen. Chancen waren genug da, der Aufstieg war möglich. Ich glaube, diese Unerfahrenheit in großen Teilen der Mannschaft war ausschlaggebend.

STANDARD: Ein Jahr später beendeten Sie Ihre Karriere mit fast 40 Jahren. Fiel es schwer, vom Fußball loszulassen?

Vastić: Ich wusste, ich habe alles gegeben und sehr lange auf hohem Niveau gespielt. Dann tut es nicht weh. Ich wusste, die Zeit ist gekommen, zurückzutreten. Ich habe mich damit abgefunden.

STANDARD: Was ist bei der Euro 2024 für das ÖFB-Team möglich?

Vastić: Die Mannschaft ist intakt. Ich glaube, dass es möglich ist, weiterzukommen. Diese knappe Niederlage gegen Frankreich könnte entscheidend sein. Die vier besten Gruppendritten kommen ja auch weiter. Wir haben gute Chancen gegen Polen. Und auch gegen die Niederländer. Die haben mich im ersten Spiel nicht vom Hocker gerissen. Wenn wir weiter so dran bleiben wie gegen Frankreich, bin ich sogar überzeugt, dass wir einen Sieg aus den zwei Spielen holen. (Lukas Zahrer, 20.6.2024)