Maximilian Wöber: "Ich habe das aufgearbeitet. Natürlich war es bitter."
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Der Tag danach. Österreichs Fußballnationalteam ist am frühen Dienstagnachmittag in Berlin gelandet, das Training im Stadion "Auf dem Wurfplatz" wurde gestrichen. Man muss ja nicht übertreiben. Ein bisserl Radfahren und Physiotherapie reichten.

Düsseldorf ist trotz der 0:1-Niederlage gegen Frankreich eine Reise wert gewesen, man konnte die ersten EM-Erfahrungen sammeln. Wobei ein Punkt natürlich besser gewesen wäre. Den Treffer hat Österreich selbst geschossen, Maximilian Wöber köpfelte in der 38. Minute ins eigene Tor. "Niemand macht ihm einen Vorwurf. Das Wichtigste ist, dass er sich selbst keinen macht", sagte Teamchef Ralf Rangnick eine halbe Stunde nach Abpfiff.

Der 26-jährige Innenverteidiger folgte dem Rat, erschien am Dienstag um 14.30 Uhr im Mediencenter. Begleitet wurde er von Rechtsverteidiger Stefan Posch. Das zeugt von Wöbers Charakterstärke, er hätte zur Presseabteilung auch "Lasst mich bitte in Ruhe, schickt einen anderen" sagen können. "Ist man der Dodel der Nation, stellt man sich besser", sagte er tatsächlich. Rangnick habe absolut recht. "Ich habe das aufgearbeitet. Natürlich war es bitter. Die Teamkollegen, die Betreuer, Freunde und die Familie haben mir geholfen, die Gedanken in die richtigen Bahnen zu lenken. Die Mitspieler haben gesagt, das gehört zum Fußball, man verliert und gewinnt nur gemeinsam."

Eigentorschütze Wöber hatte auch Szenen gegen Frankreich, an denen er sich aufrichten kann.
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Nach einer schlaflosen Nacht sei er nun wieder gut drauf. "Das Erlebnis, bei einer EM die Bundeshymne singen zu dürfen, überwiegt bereits, es zählt zu den großen Momenten." Wöber lächelte, und es sah überhaupt nicht aufgesetzt aus.

Vertrauen in den Stil

Noch im Düsseldorfer Stadion hat Rangnick Bilanz gezogen, er war schon besser aufgelegt. Kritik an der Mannschaft übte er kaum („Wir haben nicht immer die richtigen Entscheidungen getroffen“), der 65-Jährige ist ja auch Pädagoge, der Blick ist mangels Alternative "nach vorne gerichtet". Polen, der Gegner am Freitag im Olympiastadion (18 Uhr, Servus TV), hat nach dem 1:2 am Sonntag gegen die Niederlande 30 Stunden mehr Regenerationszeit. "Das ist kein Vorteil für uns." Das Vertrauen in den eigenen Stil sei aber groß. "Es hat gut funktioniert. Nur eben gegen einen der besten Gegner, die es zurzeit gibt auf dem Planeten", sagte Rangnick nach seiner EM-Premiere. "Das war keine Durchschnittsleistung der Franzosen, sondern auch für ihre Verhältnisse eine Topleistung."

Darüber könnte man schon diskutieren, andererseits wäre Unruhe so notwendig wie ein Kropf. Kollege Didier Deschamps ist laut Rangnick jedenfalls froh gewesen, das Spiel überstanden zu haben. "Das alleine zeigt, was es für eine Energieleistung war."

Auf der Bremse

Rangnick trat dann aber doch auf die Bremse. "Man muss fair bleiben. Die insgesamt größere Zahl an richtig guten Chancen hatten die Franzosen. Deswegen ist der Sieg nicht völlig unverdient. Tormann Patrick Pentz war fantastisch." Er beschwerte sich über die fünf Gelben Karten, der spanische Schiedsrichter Gil Manzano sei generell nicht gut gewesen. Wurscht. Schuldzuweisungen mögen andere machen.

Die Leistung war durchaus anständig. Allerdings war keiner, von Pentz abgesehen, in der Lage, über sich hinauszuwachsen. Florian Grillitsch etwa, der die Startelf schmückte, schrammte maximal am Durchschnitt entlang. Auch Konrad Laimer und Kapitän Marcel Sabitzer agierten schon einmal dominanter, wobei sie immer noch gut waren. Aber Frankreich ist halt nicht irgendwer, da ist gut zu wenig.

Für Marko Arnautovic (Mitte) und Michael Gregoritsch gab es kein Durchkommen.
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Im Sturm herrscht Flaute, eine Stunde lang wurde Michael Gregoritsch nicht gefährlich, Nachfolger Marko Arnautovic knüpfte nahtlos an. Rangnick verteidigte die beiden. "Sie wurden nicht mit Bällen gefüttert." Christoph Baumgartner war in der Offensive noch der Auffälligste. Hätte er in der 35. Minute nicht eine Riesenchance vergeben, hätte er zum sechsten Mal in Serie getroffen. Das wäre dann schon extrem auffällig gewesen.

Beinahe hätte Christoph Baumgartner genetzt.
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Gegen Polen soll der kollektive Hunger gestillt werden. Über die Bedeutung herrscht Klarheit, die Tabelle der Gruppe D lügt nicht. Rangnick hat das messerscharf erkannt: "Derjenige, der das Spiel gewinnt, hat noch alle Chancen. Derjenige, der verliert, hat keine allzu großen mehr. Ein absoluter Endspielcharakter. Genauso werden wir es angehen." Ob Robert Lewandowski rechtzeitig fit wird, interessiert ihn maximal am Rande. Der Topstürmer ist jedenfalls ins polnische Mannschaftstraining eingestiegen.

Am Mittwoch wird ab 11.45 Uhr "Auf dem Wurfplatz" geschuftet, die Taktik gegen Polen einstudiert. "Es liegt an uns", sagte Posch. In Düsseldorf lag es dann doch eher an Frankreich. Der entspannt lächelnde Maximilian Wöber gab eine Garantie ab: "So ein Slapsticktor erziele ich nicht mehr." (Christian Hackl, 18.6.2024)