Der Anwalt Serge Klarsfeld und die Journalistin Beate Klarsfeld.
AFP/BERTRAND GUAY

Er ist mehr als eine moralische Instanz: Serge Klarsfeld (88) hat ganz konkret dazu beitragen, dass einige der schlimmsten Naziverbrecher nicht länger auf freiem Fuß herumlaufen konnten. Dem SS-Schergen Alois Brunner setzte er bis nach Syrien nach, in Bolivien erwirkte er die Verhaftung von Klaus Barbie, genannt der "Schlächter von Lyon". Über dessen Verurteilung hinaus ermöglichte Klarsfeld damit den historischen Prozess für das Vichy-Regime. Seine Gattin Beate Klarsfeld machte sich ihrerseits einen Namen, als sie 1968 den deutschen Kanzler Kurt Georg Kiesinger wegen seiner Nazivergangenheit ohrfeigte.

Jetzt gerät der Nazijäger aber selbst in die Kritik. In einem Interview erklärte er, dass er bei der Neuwahl in Frankreich im ersten Durchgang gemäßigt wie immer stimmen werde; wenn er im zweiten Durchgang aber nur noch die Wahl zwischen den beiden dominanten Kräften habe, dann wähle er nicht die linke France insoumise (LFI), sondern "ohne Zögern" den rechten Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen.

Unterstützung Palästinas

Als Grund gibt Klarsfeld an, die Unbeugsamen ("insoumis") seien gegen Israel und arrangierten sich mit internen Antisemiten. Ihr Anführer Jean-Luc Mélenchon habe seinen ganzen Europawahlkampf auf die Unterstützung Palästinas ausgerichtet, ohne sich von den islamistischen Judenhassern zu distanzieren. Die Lepenisten, so Klarsfeld, stellten sich dagegen heute ohne Wenn und Aber hinter die Juden und Israel. Deshalb sei es "normal", dass er nicht für eine antisemitische, sondern für eine projüdische Partei stimmen werde, wenn er zwischen ihnen wählen müsse. In den Umfragen führt Le Pens RN mit 33 Prozent vor der Linksfront mit 28 Prozent und dem Macron-Lager mit 18 Prozent.

Die linke Volksfront, ein Wahlbündnis von Sozialdemokraten, Grünen, Kommunisten und Unbeugsamen, reagierte entrüstet auf Klarsfelds Erklärung. Mélenchons Vize Manuel Bompard erklärte, seine Partei kämpfe gegen alle Rassisten, ob es Antisemiten, Islamophobe oder andere seien. Proteste gibt es auch in der jüdischen Gemeinschaft. Im Pariser Vorort Créteil erklärte eine 1944 geborene Jüdin gegenüber Journalisten, Klarsfeld beleidige die Opfer des Holocaust: "Hat er vergessen, dass der Mitgründer der Le-Pen-Partei ein ehemaliges Mitglied der Waffen-SS war?"

Viele Kritiker

Klarsfeld, dessen Vater in den Vernichtungslagern der Nazis umgekommen war, steht mit seiner Kritik an der Mélenchon-Partei allerdings nicht alleine da. Der jüdische Sozialist Jérôme Guedj verweigert wegen der Nahostpolitik der Unbeugsamen jede Allianz mit ihnen; wie andere Parteikollegen kandidiert er als Unabhängiger. Viele französische Juden setzen auf die Le-Pen-Partei, weil sie sich in ihrem Einwandererviertel nicht mehr sicher fühlen.

Seit dem Hamas-Angriff auf Israel haben sich antisemitische Akte landesweit verzehnfacht. Klarsfeld hatte vor zwei Jahren noch ohne Umschweife zur Wiederwahl von Präsident Emmanuel Macron gegen Marine Le Pen aufgerufen. Inzwischen hat er von RN-Bürgermeister Louis Aliot die Ehrenbürgerschaft der Stadt Perpignan angenommen. (Stefan Brändle aus Paris, 18.6.2024)