Karl Nehammer schaut von Leonore Gewessler weg
Kanzler Karl Nehammer ist nach dem Ja von Ministerin Leonore Gewessler (hier beide auf einem Archivbild) zum EU-Renaturierungsgesetz sauer.
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Zwischen Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) und seinem Vize Werner Kogler (Grüne) herrscht Eiszeit und erst einmal Funkstille. Der Ministerrat am Mittwoch wurde kurzerhand abgesagt, es gebe nichts zu besprechen, hieß es. Das Notwendigste wird per Umlauf weitergereicht und erledigt. Die Koordinierungssitzung, die für kommenden Dienstag geplant war, findet ebenso wenig statt. Die ÖVP leckt erst einmal ihre Wunden und muss wieder zu sich finden. Bei den Grünen bemüht man sich, den Triumph, und als solchen empfindet man den Beschluss des EU-Renaturierungsgesetzes gegen den Willen des Koalitionspartners, nicht allzu offensiv zu zelebrieren, um die ÖVP nicht weiter zu provozieren.

Türkis-Grün stand tatsächlich auf der Kippe. Kanzler Nehammer hatte das am Montag in Brüssel auch so erklärt: Wäre es nach seinen Emotionen gegangen, hätte er die Koalition beendet. Er sprach von einem "Vertrauensbruch", die Grünen hätten ihr "wahres Gesicht gezeigt". Nehammer macht aus seiner Enttäuschung und seinem Ärger kein Geheimnis. Die Grünen hätten Ideologie über die Rechtsstaatlichkeit gestellt und einen Verfassungsbruch begangen. Aber: Er trage Verantwortung, er werde die Koalition nicht beenden. Sonst ende alles im Chaos. Er wolle vor allem ein freies Spiel der Kräfte verhindern, das die Steuerzahler in der Vergangenheit immer teuer gekommen sei und Milliarden gekostet habe.

Triumphzug für Gewessler

Werner Kogler versuchte zu beschwichtigen. Erstens sieht er sich im Recht, zweitens habe man noch jede Koalitionskrise gemeistert und wieder zusammengefunden. Die grüne Heldin der Stunde ist Klimaschutzministerin Leonore Gewessler, die ihrem Gewissen gefolgt sei, wie sie behauptet. Mit ihrem Ja zum Renaturierungsgesetz hat sie den Ausschlag gegeben, dass dieses Vorhaben auf europäischer Ebene durchgegangen ist. Am Samstag ist Bundeskongress der Grünen, bei dem auch die Bundesliste für die Nationalratswahl erstellt wird. Gewessler kandidiert hinter Kogler für den zweiten Listenplatz, ihre Kür wird wohl ein Triumphzug werden.

Grünen-Chef und Vizekanzler Werner Kogler rückte am Montagabend in Wien aus, um zu beschwichtigen. Da war schon klar, dass die ÖVP die Koalition nicht beendet.
APA/TOBIAS STEINMAURER

Dass man die ÖVP jetzt so vorgeführt habe, ist der Erfolg, den die Grünen dringend benötigt haben. Der ÖVP hier die Stirn geboten zu haben ist für die Mobilisierung nach innen, noch viel mehr aber für die Mobilisierung nach außen enorm wichtig. Die Grünen werden alles daransetzen, das auch entsprechend zu inszenieren. In Umfragen liegen sie derzeit unter der Zehn-Prozent-Marke. Ausgerechnet der Konflikt mit dem Koalitionspartner könnte sie wieder darüber heben.

Zorniger Bauernbund

In der ÖVP zieht sich die Verärgerung über die Grünen bis ins letzte Glied, von einem Verrat ist die Rede, es wäre nicht erste. Kogler hatte ja bereits Sebastian Kurz abgeschossen, jetzt habe er auch noch Karl Nehammer schwer beschädigt. Insbesondere beim Bauernbund ist der Zorn groß, dort befürchtet man, die neuen EU-Richtlinien zur Renaturierung deutlich zu spüren. Gewessler setze mit ihrem "beispiellosen Alleingang" die Versorgungssicherheit in Österreich aufs Spiel, kritisiert Bauernbund-Präsident Georg Strasser.

Der Bauernbund ist wahrscheinlich die einflussreichste Teilorganisation der ÖVP, dort war der Ruf nach einem Ende der Koalition besonders laut. Nehammer entschied sich aber dagegen, aus rationalen Gründen: Bei einem freien Spiel der Kräfte im Parlament stünde für die ÖVP mehr auf dem Spiel, als sie gewinnen könnte.

Nehammer hatte sich in seinem Zorn auf Gewessler aber auch an Bundespräsident Alexander Van der Bellen gewandt. Was genau da besprochen wurde, ist nicht bekannt. Jedenfalls gab es von Van der Bellen keine Rückendeckung für eine Absetzung Gewesslers, die Nehammer als Kanzler beantragen könnte. Der Bundespräsident könnte die Ministerin auf Vorschlag des Bundeskanzlers entlassen, das hat Van der Bellen aber offenbar nicht vor. Und Nehammer habe das konkret auch nicht gefordert und vorgeschlagen, wird versichert.

Sorge vor erstarkten Grünen

In der ÖVP geht allerdings auch die Angst um, die Grünen könnten jetzt ihrerseits auf ganz scharf schalten und alles blockieren, was von der Volkspartei kommt. Das beträfe in erster Linie den Posten eines österreichischen EU-Kommissars. Im Sideletter zum Regierungspakt haben die Grünen der ÖVP diesen Posten zugestanden, mittlerweile hat Kogler das Papier aber für obsolet erklärt. Im Gespräch ist eine Beförderung von Finanzminister Magnus Brunner nach Brüssel, auch Karoline Edtstadler ist im Gespräch. Diese hat sich aber derart scharf gegen die Grünen positioniert, dass sie wohl mit einer Retourkutsche rechnen müsste. Aber auch Brunner könnten die Grünen ihre Zustimmung verweigern und etwa Othmar Karas vorschlagen.

Karl Nehammer vor Mikrofonen
Für ÖVP-Chef und Kanzler Karl Nehammer ist Gewesslers Stimmen für das EU-Renaturierungsgesetz gegen den Willen der Volkspartei ein "krasses Fehlverhalten".
APA/BKA/ANDY WENZEL

Was künftige Postenbestzungen betrifft, wird Bundespräsident Van der Bellen der Koalition aber einen Riegel vorschieben. Er wird ab dem Stichtag 9. Juli keine Spitzenposten in den Ministerien mehr bestätigen. Damit wolle er die nächste Bundesregierung nicht präjudizieren, heißt es aus der Hofburg. Im Klartext: Es soll ausgeschlossen werden, dass Türks-Grün noch schnell Spitzenposten mit Vertrauensleuten besetzt. Das betrifft Ernennungen auf Sektions-, Gruppen- oder Abteilungsleiterebene.

Misstrauensvotum wohl in zwei Wochen 

Ganz aus dem Weg gehen können ÖVP- und Grünen-Vertreter einander dieser Tage aber nicht. Laufend finden Ausschusssitzungen in Vorbereitung auf die nächste Plenarwoche des Nationalrats statt. Die wird wohl für beide Parteien unangenehm – wegen der FPÖ. Die hat bekanntlich einen Misstrauensantrag gegen Gewessler angekündigt. Der früheste Termin, an dem abgestimmt werden könnte, ist die Sitzung am 3. Juli. Es wäre bereits der 29. Misstrauensantrag in der aktuellen Gesetzgebungsperiode.

Um die grüne Ministerin ihres Amtes zu entheben, bräuchte es eine einfache Mehrheit – und damit zusätzlich zu den Stimmen der Opposition auch welche von der ÖVP. FPÖ-Chef Herbert Kickl versucht bereits, dahingehend Druck aufzubauen: Die Abstimmung werde "für jeden einzelnen ÖVP-Abgeordneten eine Gewissensfrage, ob er einer Zerstörerin unserer Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln und Beschleunigerin des Bauernsterbens weiter die Mauer macht".

Ernsthaft Sorgen machen muss sich Gewessler aber wohl nicht. Trotz allen Grolls dürfte die ÖVP nicht an einer weiteren Eskalation arbeiten – schon aus Eigeninteresse. Nehammers Erzählung als staatsmännischer Garant für geordnete Verhältnisse wäre dadurch gefährdet. Und das Narrativ der ÖVP, keine gemeinsame Sache mit Kickl zu machen, ebenso.

Am Dienstag auf den Misstrauensantrag angesprochen, blieb Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) zugeknöpft: "Also, das wird sich zeigen, ob es dazu kommt und wie das im Parlament vonstattengeht", sagte er der APA. "Aber grundsätzlich kann man nur sagen, wir haben die Koalition und die Regierung nicht gesprengt, und daher gibt es sie nach wie vor." (Stefanie Rachbauer, Michael Völker, 18.6.2024)