Schon am Mittwoch soll im EU-Rat über die Chatkontrolle abgestimmt werden. Auch die Signal Foundation warnt vor den Folgen.
AP/Omar Havana

Das ging ja schnell: Nachdem in der Vorwoche Pläne durchgesickert waren, wonach in einem Beratergremium der EU-Kommission Ideen für eine Chatkontrolle in breitem Ausmaß diskutiert wurden, könnte die Chatkontrolle schon am Mittwoch auf der Agenda des EU-Rats landen. Damit würde die Chatkontrolle eine der letzten Hürden nehmen, bevor sie zum geltenden EU-Recht wird.

Parlamentarier aus Österreich, Deutschland, Luxemburg und den Niederlanden haben sich nun mit einem offenen Brief an den Rat gewandt und sprechen sich klar gegen eine anlasslose Massenüberwachung aus. Vor allem die belgische Ratspräsidentschaft wird in dem Schreiben heftig kritisiert.

“Wir lassen es nicht zu, dass die belgische Ratspräsidentschaft auf den letzten Metern eine Chatkontrolle durchdrückt, die die Vertraulichkeit privater Kommunikation aufs Spiel setzt. Der belgische Kompromissvorschlag steht im kompletten Gegensatz zu einem europäischen Bekenntnis zu sicherer Kommunikation, digitaler Privatsphäre und Selbstbestimmung im digitalen Raum", sagt Tobias Bacherle von den deutschen Grünen, Bundestagsabgeordneter und Obmann im Digitalausschuss.

"Mit dem offenen Brief machen wir klar, das eine flächendeckende und anlasslose Massenüberwachung mit uns Parlamentarierinnen und Parlamentariern nicht zu machen ist", erklärt Süleyman Zorba, Digitalsprecher der österreichischen Grünen.

"Freiwillige Zustimmung"

In dem Schreiben an den Rat äußern die Unterzeichnenden Bedenken, dass der aktuell auf dem Tisch liegende Vorschlag nicht mit den Grundrechten der EU vereinbar ist. "Als Parlamentarier beobachten wir mit großer Sorge den Vorschlag des Rates der EU, der die Vertraulichkeit privater Kommunikation abschaffen würde. Auch wenn die belgische Ratspräsidentschaft nun einen Kompromissvorschlag vorgelegt hat, der die Verpflichtung zum Scannen privater unverschlüsselter sowie verschlüsselter Video- und Bildinhalte einschränken würde, bleibt dies ebenso ein Eingriff in die digitalen Grundrechte und führt die Diskussion zurück an den Ursprung der Debatte zurück. Tatsächlich handelt es sich bei dem belgischen Vorschlag um die ersten Pläne der Kommission, die im Dezember 2021 bekannt wurden", heißt es in dem Brief.

Die aktuellen Pläne sehen "Client-side Scanning" vor. Dabei werden die Nachrichten in Messengern wie Whatsapp oder Signal noch vor dem Versand überprüft. Gleichzeitig wird die Verschlüsselung nicht gebrochen, da diese ja nur die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Diskussionspartnern schützt, an dieser Stelle also gar nicht zum Tragen kommt. Der belgische Kompromissvorschlag sieht nun vor, dass Userinnen und User dem anlasslosen Scannen ihrer Nachrichten "freiwillig" zustimmen. Ansonsten können sie etwa keine Bilddateien verschicken. Das alles soll dem Schutz von Kindern dienen, denn als Grund für die Chatkontrolle wird einmal mehr der Kampf gegen Darstellungen sexuellen Missbrauchs an Kindern genannt.

Aber der Vorschlag könnte Kindern mehr schaden als nützen, warnen die Parlamentarier: Eine sichere und verschlüsselte Kommunikation mit Not- und Hilfsdiensten sei so nicht mehr möglich. Das gelte besonders für Länder, in denen sich Opferhilfsorganisationen nicht auf die Unterstützung und Vertraulichkeit von staatlichen Strafverfolgungsbehörden verlassen können.

Blaupause für autoritäre Staaten

Außerdem würden eingebaute Hintertüren die Vertraulichkeit digitaler Kommunikation gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten Partnern wie medizinischem Personal, Anwälten oder Journalisten einschränken. Darüber hinaus wären digital übermittelte Geschäftsgeheimnisse und Geschäftsvorgänge gefährdet. "Die Verschlüsselung schützt die Identität und den Inhalt der Kommunikationsteilnehmer und bewahrt so die Autonomie der Opfer sexueller Gewalt", heißt es in dem Brief.

Darüber hinaus würde ein Generalverdacht wohl dazu führen, dass die Menschen digitale Dienste weniger gerne in Anspruch nehmen und die Services weniger bereitwillig nutzen. Ein Austausch über derartige Services sei aber für die Demokratie unerlässlich.

Baut man einmal eine Architektur der Chatkontrolle auf, könnte dieses System autoritären Staaten als Blaupause für Überwachung dienen. Gleichzeitig sind eingebaute Hintertüren eine Einladung an Cyberkriminelle, warnen die Unterzeichner.

"Die massenweise Untersuchung privater Nachrichten ohne Verdacht birgt die Gefahr, ein Klima des Generalverdachts zu schaffen. Ein solcher Ansatz wird das Image der Europäischen Union als Garant der Freiheit irreparabel beschädigen", heißt es in dem offenen Brief.

Signal Foundation warnt

Mit ihrer Meinung sind die Parlamentarier nicht alleine. Wissenschafter und Kinderschutzorganisationen haben in ähnlicher Weise vor den Folgen von Client-side-Scanning gewarnt. Wobei im Ratsvorschlag die Technologie so nicht benannt ist. Hier verwendet man den Begriff "Upload-Moderation".

Ein verharmlosender Begriff, wie man bei der Signal Foundation betont. "Rhetorische Spielchen sind im Marketing oder in der Boulevardberichterstattung ganz nett, aber sie sind gefährlich und naiv bei so einem ernsten Thema, bei dem so viel auf dem Spiel steht. Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Das massenhafte Scannen von privater Kommunikation untergräbt die Verschlüsselung grundlegend. Punktum."

Derartige Pläne untergraben die Verschlüsselung grundlegend und schaffen eine gefährliche Schwachstelle in der Kerninfrastruktur, warnt das von Meredith Whittaker geführte Unternehmen. Gleichzeitig warnt die Signal Foundation vor Auswirkungen globaler Natur und nicht bloß auf Europa.

"Anstatt diese grundlegende mathematische Realität zu akzeptieren, spielen einige europäische Länder weiterhin rhetorische Spielchen. Sie sind mit der gleichen Idee unter einem neuen Namen wieder an den Tisch gekommen", heißt es in dem Blogpost. Nachsatz: "Es wird behauptet, dass 'Upload-Moderation' die Verschlüsselung nicht untergräbt, weil sie stattfindet, bevor Ihre Nachricht oder Ihr Video verschlüsselt wird. Das ist nicht wahr."

Frankreich wackelt

Hatten sich vor einigen Monaten noch zahlreiche Länder unter anderem wegen Grundrechtsbedenken gegen die Messenger-Überwachung ausgesprochen, sollen mittlerweile einige ihre Position geändert haben. Nun soll auch Frankreich seine Zustimmung signalisiert haben, falls gewisse Änderungen am im Geheimen diskutierten Entwurf vorgenommen werden. In Österreich sind es Vertreter des Innenministeriums, die sich in Brüssel für die Chatkontrolle starkmachen. (Peter Zellinger, 18.6.2024)