René Benko auf dem Weg zur Befragung im U-Ausschuss
Wie werden Aufsichtsgremien und Beiräte besetzt? Besonders laut wird diese Frage bei Unternehmensversagen gestellt. René Benko (hier auf dem Weg in den U-Ausschuss) musste in der GmbH Signa Holding keinen Aufsichtsrat einsetzen, er installierte einen Beirat.
Heribert Corn

Außergewöhnliche fachliche Qualifikation. Höchste Professionalität. Unverführbare Unabhängigkeit und vorbildliche Integrität. Dazu herausragende Entscheidungsfähigkeit inklusive Mut. Natürlich ständige Offenheit für Weiterbildung. So weit das Idealbild eines Mitglieds im Aufsichtsgremium. Selbstverständlich ist dieses gesamte Board divers (nach Geschlecht, Herkunft, Alter, Erfahrung, Expertise) auf Basis eines professionellen Assessments besetzt und wird regelmäßig nach transparenten Kriterien evaluiert. Für Beiräte gilt natürlich dasselbe.

Zur Wirklichkeit besteht wohl eine gewisse Diskrepanz, wie auch jüngste Unternehmensversagen nahelegen. Die Führungskräfteberater von Board Search in Wien – sie vermitteln Mandate für Aufsichtsgremien, Beiräte oder Geschäftsleitungen und bieten verschiedenste Personaldienstleistungen für diese Top-Führungsboards an – haben dazu die digitalen Markt- und Meinungsforscher von Marketagent 210 Führungskräfte aus ihrem Netzwerk fragen lassen. Die Ergebnisse sind ernüchternd, zahlen aber auf das Konto von Board Search ein: Für Professionalisierung ist einiges an Luft nach oben vorhanden.

Wunsch und Wirklichkeit

Systematische Auswahlprozesse werden demnach nur in den wenigsten Unternehmen umgesetzt. Lediglich 24 Prozent geben an, dass es klare Anforderungsprofile für Mitglieder des Aufsichtsrats oder eines Beirats gebe. Knapp ein Drittel sagt, dass die Board-Zusammensetzung regelmäßig überprüft werde, allerdings sehen nur 18 Prozent diesbezüglich eine transparente Kommunikation der Kriterien für die Auswahl der Kandidatinnen und Kandidaten.

Da es mit Volljährigkeit und Unbescholtenheit als Grundvoraussetzungen für ein Mandat meistens schon genug ist, wünschen sich 80 Prozent der Befragten "klare Nachschärfungen" diesbezüglich. Ein eher weniger charmantes Feedback an die Aufsichtsgremien in der eigenen Firma vonseiten der operativen Führungskräfte.

Dazu geben mehr als 60 Prozent an, über Interessenkonflikte von Mitgliedern der Aufsichtsgremien Bescheid zu wissen. Im Widerspruch dazu steht der Anforderungskatalog: Fast 80 Prozent reihen Unabhängigkeit gegenüber Geschäftsführung und Vorstand auf Platz eins. Es folgen dicht dahinter Integrität und ethisches Verhalten, dann ranken Anstand, Rückgrat, Unbeugsamkeit sowie hohes Verantwortungsbewusstsein. Weit abgeschlagen sind fachliche Kompetenz und Branchenerfahrung sowie finanzielle Sachkundigkeit (je 55 Prozent).

Nur einer von uns?

Was schließt Board Search daraus? "Eines der Hauptmotive bei der Auswahl von Beiräten und Aufsichtsräten ist das Hans-sucht-Hänschen-Prinzip". Man suche eben seinesgleichen, analysiert Josef Fritz, geschäftsführender Gesellschafter von Board Search. "Einer von uns" sei oftmals das Kriterium. "Stallgeruch" hätte man früher auch gesagt.

Was schlagen die befragten und offenbar recht ehrlich antwortenden Führungskräfte vor, um mehr Professionalität in ihre Aufsichtsgremien zu bringen? 74 Prozent nennen Transparenz und Compliance. Eine regelmäßige Offenlegung von Interessen, einen Rückzug von Entscheidungsfindung und eine transparente Berichterstattung heißen jeweils drei Viertel gut. Aber: Nur etwa ein Drittel berichtet von entsprechenden Maßnahmen im eigenen Unternehmen. 74 Prozent geben zu Buche, dass die Auswirkungen von Interessenkonflikten nachhaltig schwerwiegend für das Unternehmen seien.

Es scheint auch das vielzitierte Vertrauen zwischen den Boards also noch nicht auf einem Höhepunkt gelandet zu sein. Das betrifft aber scheint's auch das fachliche Know-how: Acht von zehn Befragten wollen strengere Vorschriften für die Aus- und Weiterbildung von Aufsichtsrätinnen und Aufsichtsräten.

Ob prominente Persönlichkeiten im Aufsichtsrat oder im Beirat gut wären für die Reputation der Firma? Nur vier Prozent sind davon überzeugt. 41 Prozent können VIPs in diesen Rollen teilweise etwas abgewinnen.

Wenig Vertrauen

Fazit der Auftraggeber der Befragung: Die Ideale würden oft durch Inkompetenz, persönliche Netzwerke, politische Loyalitäten und wirtschaftliche Interessen geschmälert. Ein kurzer Befragungsabstecher zum politischen Top-Personal ist dabei inbegriffen. Denn über 90 Prozent dieser Führungskräfte wollen als Top-Qualifikation in diesem Bereich "hohes Verantwortungsbewusstsein". Nur vier von zehn halten fachliches Know-how für entscheidend, um eine gute Politikerin, ein guter Politiker zu sein. Thomas Schwabl, Geschäftsführer von Marketagent, hat dazu auch rund 1000 Österreicherinnen und Österreicher befragt. Nur zwei von zehn attestieren dem politischen Top-Personal ausreichende soziale und fachliche Kompetenzen sowie den "nötigen Anstand". Als "stark", berichtet Schwabl, werde in der Bevölkerung lediglich das Netzwerk der Politikerinnen und Politiker angesehen. Neun von zehn Führungskräften und drei Viertel der hier befragten Österreicher sehen eine "sehr große" oder "eher große Gefahr", dass bei heimischen Volksvertreterinnen und -vertretern politische und persönliche Interessen kollidieren. (Karin Bauer, 18.6.2024)