Das Pride-Festival 2023 geriet in Tiflis wegen ultrakonservativen Nationalisten aus dem Ruder.
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Die Schreckensbilder vom Pride-Festival im vergangenen Jahr sind nicht nur vielen Schwulen, Lesben und Transsexuellen in der georgischen Hauptstadt Tiflis in Erinnerung geblieben. Verbrannte Regenbogenfahnen, Verwüstungen an Ständen und der Bühne der Veranstaltung. Hunderte ultrakonservative Nationalisten hatten die Veranstaltung gestürmt, auch Geistliche der georgisch-orthodoxen Kirche waren beteiligt, die Veranstaltung musste abgebrochen werden.

Ausschreitungen gegen Schwule, Lesben und Transsexuelle, es war ein Schock in Georgien, das den Beitritt zur EU anstrebt. Doch nun geht die mehr oder minder prorussische Regierungspartei Georgischer Traum in eine offene Konfrontation mit queeren Menschen im Land. "Familienwerte und der Schutz von Minderjährigen" – unter dieser Überschrift hat man ein Gesetzespaket ins Parlament eingebracht, das die Rechte queerer Menschen dramatisch einschränken würde.

Angst vor Übergriffen

Treffen würde es auch Transfrauen wie Nata Talikischwili. "Seit meiner Kindheit hatte ich keine Wahl. Seit ich fünf Jahre alt war, habe ich meine sexuelle Identität akzeptiert", erzählt sie dem STANDARD. "In dem kleinen Dorf im Westen Georgiens, wo ich aufwuchs, verstand niemand außer meiner Großmutter, warum ich mich wie ein Mädchen benahm." Heute tritt Nata regelmäßig in der Bar Klara auf, einem Szenelokal in Tiflis. Erzählt dort ihre Geschichte, die Geschichte von Transmenschen in Georgien. Nun hat sie Angst. Angst vor gewalttätigen Übergriffen. "Wenn ich bedroht werde, dann kann ich heute die Polizei rufen. Wenn das neue Gesetz verabschiedet wird, dann wird sie vielleicht nicht mehr kommen", sagt Nata. Und: "Die Klara-Bar, meine Auftritte, dort wird es vielleicht auch bald nicht mehr geben."

Schalwa Papuaschwili, hier auf Europatour, wird in Georgien wegen rigider Gesetze kritisiert.
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Geht es nach dem Georgischen Traum, sollen das Zivilrecht, das Arbeitsrecht und Bildungsgesetze geändert werden. Zur Begründung sagt Parlamentspräsident Schalwa Papuaschwili, die Verfassung sehe nur eine Ehe zwischen Mann und Frau vor. Deshalb sollten gleichgeschlechtliche Ehen gesetzlich ausgeschlossen werden. Nichtheterosexuelle Personen sollten keine Kinder adoptieren dürfen. In Ausweispapieren dürfe nur das biologische Geschlecht männlich oder weiblich eingetragen werden. Ärzte dürften zudem bei Transmenschen keine geschlechtsangleichenden Operationen vornehmen.

Vorbild Russland

Ana Subeliani zählt zu den Initiatorinnen des Pride-Festivals, ist Menschenrechtlerin und queere Aktivistin. "Diese ganze Initiative, in ihrer Gesamtheit und mit den geplanten spezifischen Maßnahmen, widerspricht dem Antidiskriminierungsgesetz, der georgischen Verfassung und internationalen Menschenrechtsstandards", sagt sie dem STANDARD. Das Gesetz würde "die Gesellschaft spalten und polarisieren. Es wäre der Versuch, die wahren Probleme der georgischen Gesellschaft zu übertünchen."

Vorbild für das neue Gesetz ist die russische Gesetzgebung. Wie in Russland soll nun auch in Georgien angebliche "LGBTIQ-Propaganda" unterbunden werden. Es dürfe keine Kundgebungen geben, auf denen es um homosexuelle Beziehungen oder Transgeschlechtlichkeit geht, so Parlamentspräsident Papuaschwili. In den Schulen werde diese Art von Information verboten. Auch in Medien und Werbung sollen solche Darstellungen nicht zulässig sein.

Das neue Gesetz würde Georgien "näher an den russischen Dunstkreis bringen", befürchtet der Jurist Besik Kutateladze gegenüber dem STANDARD. Und das "gegen den Willen der Mehrheit der Georgier". Das Gesetzesvorhaben sei "der direkte Versuch, Zensur einzuführen, inklusive der Kontrolle der Medien, der Kunst, der Erziehung", ergänzt die Aktivistin Ana Subeliani.

Parlamentswahl im Oktober

In Russland sind Lesben, Schwule, Trans- und Bisexuelle schon seit Jahren einer zunehmenden politischen Verfolgung ausgesetzt. Per Gesetz ist hier bereits jede "Propaganda" für "nichttraditionelle sexuelle Beziehungen" verboten. Im Juli 2023 unterzeichnet Russlands Präsident Wladimir Putin ein Gesetz, mit dem geschlechtsangleichende Eingriffe verboten wurden. Viele Menschen in Georgien befürchten nun das, was in Russland schon Alltag ist: Diskriminierung, Gewalt.

Monatelang wurde in Georgien gegen ein Gesetz protestiert, das den ausländischen Einfluss auf Organisationen der Zivilgesellschaft kontrollieren soll.
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Übergriffe speziell auf Transmenschen gibt es in Russland immer wieder. So verprügelte in Sankt Petersburg ein Taxifahrer eine bekannte Bloggerin. "Zieh dich aus, dann schauen wir, wer du bist", bekam die transsexuelle Kasachin Elis von einer Moskauer Polizistin zu hören. Eigentlich wollte Elis nur ihren Geburtstag in einem Moskauer Club feiern. Als sie das Lokal kurz verließ, um eine Freundin zu verabschieden, verweigerte der Türsteher ihr die Rückkehr, sagte: "Das ist doch ein Typ im Rock!" Es kam zum Streit. Die Polizei wurde gerufen.

Im Oktober steht in Georgien die Parlamentswahl an. Die Gegner der Regierung befürchten, dass der Georgische Traum mit seinem Gesetzesvorhaben die Chancen auf den EU-Beitritt des Landes untergräbt. Zuletzt hat es zwei Monate lang Massenproteste gegeben gegen ein Gesetz, das den ausländischen Einfluss auf Organisationen der Zivilgesellschaft kontrollieren soll. Verabschiedet wurde es trotzdem. (Jo Angerer, 18.6.2024)