Digital Detox
Im Urlaub braucht man kein Tablet oder Smartphone, aber man kommt auch nicht von ihnen los.
aam, STANDARD

Urlaub mit Kindern. Eltern erkennen den Widerspruch in dieser Aussage sofort. Gerade wenn der Nachwuchs um die vier Jahre alt ist und das selbstständige Beschäftigen eher schlecht als recht funktioniert. Deshalb gilt es da zu sein, gemeinsam in den Pool zu springen und nicht die ganze Zeit – wie manchmal zu Hause – nur am Smartphone zu hängen. Aber es ist schwierig. Die roten Knollen an den diversen Messenger-Diensten leuchten immer heller, je mehr Nachrichten sich stapeln. Die Nervosität steigt in einem selbst hoch. Draufklicken – nachlesen. Es könnte ja wichtig sein.

Aber wie soll Digital Detox im Urlaub funktionieren, wenn man am Smartphone nicht nur das Wetter oder das nächste Bistro nachschauen kann, sondern mit Tiktok, Whatsapp, Signal, Youtube und vielen mehr die Ablenkung in greifbarer Nähe liegt? Meine Idee: einfach das aktuelle iPad einstecken, welches wir erst vor wenigen Wochen getestet haben. Kurz vor der Rücksendung an Apple wollte ich wissen, ob man Feuer mit Feuer bekämpfen kann. In diesem Fall Äpfel mit Äpfeln.

Nur mit wenigen Apps ausgestattet, war das Tablet lediglich Buch, Spielkonsole und Wetter-App. Das Handy blieb derweilen deaktiviert. Zumindest die meiste Zeit.

27

Es ist 6.43 Uhr. Natürlich bin ich schon wach, weil ich immer um diese Zeit aufstehe. Aufstehen muss, weil das Kind wach wird und beschäftigt werden und danach in den Kindergarten gebracht werden will. Aber heute schläft es länger. Die Babydisco am Vortag bis 22.30 Uhr hat seine Wirkung nicht verfehlt. Ein kurzer Blick auf das Smartphone zeigt: 27 neue Nachrichten, zwei verpasste Anrufe mit unbekannter Nummer. Auch wenn es 2024 ist, ich gehe nicht ran, ich lese nicht nach. Ich habe Urlaub.

Also sperr ich das Smartphone weg und greife zum Tablet. Keine nervigen Messenger-Dienste, keine Kommunikations-Apps generell. Ich starte die Kindle-App, wo ich mir zwei Bücher vor dem Urlaub gegönnt habe. Neujahr von Juli Zeh und Mimik von Sebastian Fitzek. Ich starte mit der mir bisher unbekannten Autorin und lese ein paar Seiten. Mit zunehmend nachlassenden Augen ausgestattet, freue ich mich über die Helligkeit und die vergrößerbaren Schriften, die mir ein herkömmliches Buch nicht bieten kann.

Tatsächlich kann ich ein paar Seiten lesen, bis mein Sohn schließlich doch aufwacht und Frühstück serviert bekommen möchte. Ich lege das Tablet beiseite.

53

In den kommenden Tagen, der Urlaub dauert immerhin zehn Tage, finden sich immer wieder Momente, die zwischen wenigen und ein paar mehr Minuten dauern und sich der Griff zur Entertainment-Maschine lohnt. Ich spiele ein paar vorinstallierte Games, lese im STANDARD, was die Welt bewegt, und schaue dann doch auch Youtube-Videos. Ganz ohne digitale Bestrahlung schaffe ich es nicht.

Aber ich bin nicht verleitet, das Tablet immer bei mir zu tragen, wie ich das mit dem Smartphone machen würde. Für den täglichen Besuch bei der Eisdiele bleibt das digitale Buch genauso im Zimmer wie bei vielen anderen Gelegenheiten. Der Blick zum Smartphone bleibt. 53 neue Nachrichten, vier verpasste Anrufe. Kurz prüfe ich, ob ein Notfall dabei ist. Nein, es sind wirklich nur diverse Nachrichten von diversen Leuten und Arbeitskollegen. Alles spannend und wichtig, aber nicht für den Moment.

Über die Tage merke ich, wie ich ruhiger werde. Der minütliche Griff zum Handy abtrainiert wird. Manchmal schaue ich zum Tablet, aber dort ist nichts, was die verfügbaren fünf Minuten sinnvoll füllen könnte. Also lieber auf die Liege legen und die Augen zumachen.

Smartphone im Urlaub
Die steigenden Zahlen bei den Messenger- und Mail-Apps können stressen. Man kann sie auch deaktivieren, ich weiß.
aam, STANDARD

156

Nach einer Woche schreckt es mich. 156 neue Nachrichten, weiterhin vier verpasste Anrufe. Ich arbeite mich rund eine halbe Stunde durch den Dschungel an Text, antworte gelegentlich. Das Buch von Juli Zeh habe ich mittlerweile gelesen. Ein Kunststück, also das erfolgreiche Beenden eines Buches, weil das schaffe ich in den eigenen vier Wänden praktisch kaum noch. Vielleicht, weil ich jeden Tag unzählige Nachrichten und Mails lese und beantworte?

Im relaxten Zustand, die Probleme des Alltags scheinen mittlerweile weit entfernt, installiere ich sogar X. Die Stimmung auf der Plattform scheint mir noch aufgeheizter als sonst. Vielleicht aufgrund meiner Distanz zu einer aufgeladenen Stimmung, in der man sich sonst meist ohnehin befindet, speziell wenn man irgendwas mit Medien macht.

Ich starte das zweite vorinstallierte Buch. Langsam kommt auch der Fokus zurück, den ich am Anfang des Urlaubs nicht hatte. Nicht das Gefühl zu haben, alle fünf Minuten etwas anderes machen oder irgendeine Nachricht beantworten zu müssen. So fühlt es sich also an, wenn man nicht ständig auf Social Media unterwegs ist. Wenn man nicht das Gefühl hat, Multitasking betreiben zu müssen, um nichts zu verpassen. Slow-Mo, statt Fomo.

Tablet im Urlaub
Den Fokus auf eine Sache legen. Im Alltag fast nicht mehr möglich.
aam, STANDARD

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Nach zwei Wochen komme ich einigermaßen entspannt aus dem Urlaub mit mehreren Kindern, die sich abseits von einigen emotionalen Ausbrüchen ganz gut unterhalten haben. Mein Fazit sind 1,5 gelesene Bücher, ein paar Runden im Spiel "Junkworld" und eine Liste an Ideen für Stories, die ich in den nächsten Wochen umsetzen möchte.

Tatsächlich kann man nämlich ohne permanente Beschallung auch wieder nachdenken, sich langweilen. Mit einem Tablet wohl nicht ganz so gut wie ohne, aber einen kalten Entzug hätte ich wohl nicht überstanden. So war ich auf Sparflamme, um dem gefährlichen Feuer zu entkommen. Es hat geklappt. Bis jetzt. Ich sitze wieder im Büro und die Anzeige bei allen Messenger-Apps ist auf Null. Ich lese wieder mit. Nichts gelernt. Vielleicht nach dem nächsten Urlaub. (Alexander Amon, 18.6.2024)