Bei der laufenden Europameisterschaft in Deutschland sollen speziell ausgebildete Polizisten die potentielle Gefahr aus der Luft mit einem sogenannten Drohnen-Jammer zu einer kontrollierten Landung bringen.
APA/dpa/Peter Kneffel

Der Sommer steht vor der Tür. Und mit ihm die Open-Air-Saison. Auch heuer spielen wieder musikalische Großkaliber von AC/DC bis Taylor Swift vor Zehntausenden Zusehern im Ernst-Happel-Stadion. Beim Donauinselfest am Wochenende, einer der größten Freiluftveranstaltungen Europas, werden wieder knapp drei Millionen Besucherinnen und Besucher erwartet und sich an drei Tagen dicht an dicht vor die 14 Bühnen drängen.

Aber was, wenn da plötzlich etwas surrt? Wenn ein Blick Richtung Himmel zeigt: Es ist ein kleines Flugobjekt. Und es kommt näher. Was, wenn es eine Drohne ist? Was, wenn jemand sie mit Sprengstoff beladen hat?

Das ist eine reale Gefahr und bereitet Staatsschützern aktuell nicht umsonst Sorge: Der afghanische Ableger der Terrormiliz "Islamischer Staat", der sogenannte IS Khorasan, etwa rief per Sujets über die eigenen Propagandakanäle zu Anschlägen dieser Art auf. "Wenn sie dich am Boden einengen und unterdrücken", steht dort in einem Eintrag geschrieben, "attackiere sie aus dem Himmel." Dazu ist das Bild einer Drohne zu sehen, die auf Real Madrids Fußballstadion Santiago Bernabéu zusteuert.

Die Terroristen nehmen Fußballstadien in ihrer Propaganda derzeit gezielt ins Visier: speziell wegen der laufenden Fußballeuropameisterschaft in Deutschland.

Pläne für Sprengsätze leicht erhältlich

Tatsächlich wurden nach den großen Terroranschlägen der vergangenen Jahre – von Paris über Brüssel und Berlin bis Wien – europaweit die Schutzmaßnahmen hochgefahren. Kaum eine Großveranstaltung, die heute nicht mit aufwendigen Sicherheits- und Überwachungskonzepten geschützt wird. Kaum ein Parlamentsgebäude, kaum ein großer Weihnachtsmarkt, der inzwischen nicht mit Pollern umgeben ist, um Attacken mit Fahrzeugen zu unterbinden.

Da scheint es in der terroristischen Logik nur naheliegend, den Blick auf eine der letzten verbliebenen offenen Flanken zu richten: Angriffe aus der Luft. Der Schaden, den selbst ein kleines, selbstgebasteltes Flugobjekt mit der entsprechenden Ladung an Bord bei einer Großveranstaltung anrichten könnte, wäre enorm.

Hinzu kommt: Drohnen sind in den vergangenen Jahren nicht nur technisch ausgereifter, sondern auch günstiger geworden. Und nicht zuletzt zeigen Recherchen des STANDARD, dass es für junge Jihadisten mittlerweile ein Leichtes ist, über einschlägige anonyme Chatkanäle an diverse Bombenbaupläne der Terrororganisation zu gelangen.

Erster Verdachtsfall in Österreich

Auch in Österreich gab es wohl bereits einschlägige Planungen. So tauschte sich ein amtsbekannter Jihadist vor einigen Monaten auf seiner Facebook-Seite öffentlich einsehbar mit mutmaßlich Gleichgesinnten zum Thema aus. In den Nachrichten wurde etwa eruiert, welche Drohnen-Bauarten besonders geeignet sein könnten und wie schnell die Internet-Geschwindigkeit sein müsse, um das Fluggerät "am Schlachtfeld" wirksam steuern zu können. Der Verdacht liegt nahe, dass der Verdächtige einen Anschlag in Wien geplant haben könnte. Aus seiner jihadistischen Ideologie macht er auf dem sozialen Netzwerk jedenfalls keinen Hehl. Augenscheinlich dürfte er auch mit internationalen Jihadisten vernetzt sein. Sein Facebook-Profil ging in der Zwischenzeit offline.

Aber wie kann die Bevölkerung vor derartigen Attacken geschützt werden? Welche Mittel stehen den Behörden zur Verfügung? Und: Können sie den Guerilla-Angriff aus der Luft überhaupt sehen, bevor er passiert?

Das europäische Luftabwehrsystem Sky Shield, das es noch nicht gibt, an dem sich Österreich aber künftig beteiligen will, soll Schutz vor Raketen und Flugzeugen bieten – und vor Drohnen. Allerdings: Vor militärischen Drohnen, die potenziell aus dem Ausland losgeschickt werden und in den heimischen Luftraum eindringen könnten. Für die selbst zusammengebaute Hobby-Drohne aus dem Bastlergeschäft, die mit Anleitungen von einschlägigen Internetseiten explosiv bestückt wird, sind die zu Sky Shield gehörenden Radarsysteme nicht zuständig. Denn diese sind auf Flughöhen ausgerichtet, in denen Flugobjekte mit freiem Auge nicht einmal wahrnehmbar sind.

Schutz obliegt der Cobra

Terrorabwehr fällt in Österreich in die Zuständigkeit der Polizei. Der Schutz vor Drohnen obliegt konkret der Direktion für Spezialeinheiten und dem ihr unterstellten Einsatzkommando Cobra. Drohnenabwehr ist seit vielen Jahren ein Teil der Polizeiarbeit bei Großereignissen wie Sportveranstaltungen, Staatsbesuchen und anderen Ereignissen mit größeren Menschenansammlungen, heißt es auf STANDARD-Nachfrage aus dem Innenministerium. Die Cobra führe seit 2015 im europäischen Sondereinheitenverbund "Atlas" auch eine internationale Expertengruppe, die sich mit der Gefahr durch Drohnen beschäftige. Denn die voranschreitende Technologie gepaart mit immer preisgünstigeren Modellen rücke Drohnenabwehr "immer mehr in den Fokus der Anti-Terror-Arbeit".

Dazu verwende die Polizei "Geräte zur Detektion und Abwehr von Drohnen", die bei "entsprechenden Gefährdungslagen von speziell ausgebildeten Beamten eingesetzt" würden. Die Geräte würden laufend nachgerüstet und weiterentwickelt. Nähere Details wolle man bei der verwendeten Technik nicht nennen.

"Abwehrsysteme alles andere als perfekt"

Aber obwohl die Terrorabwehr grundsätzlich den Polizeibehörden und den heimischen Nachrichtendiensten obliegt, kann auch dem Bundesheer eine Rolle dabei zufallen. Denn das Militär wird regelmäßig per Assistenzeinsatz zur Unterstützung der Polizei herangezogen. Etwa für Grenzkontrollen oder den Objektschutz von Botschaften.

Grundsätzlich könnte die Assistenz der Armee auch bei akuten Terrorbedrohungen angefordert werden – auch zum Schutz vor Drohnen bei Großveranstaltungen. Denn auch das Bundesheer verfügt über entsprechendes Gerät. Um etwa den Luftraum über dem Ernst-Happel-Stadion oder auch jenen über dem gesamten Donauinselfest-Gelände abzusichern, hätte das Heer ausreichend technische Ausrüstung zur Verfügung, wird dem STANDARD im Verteidigungsministerium versichert. Konkret würden dafür mobile Radarsysteme eingesetzt, um Drohnen zu orten – und unter anderem Raketenwerfer-ähnliche Rohre, um die Fluggeräte aus der Luft zu holen.

Etwas skeptischer zeigt sich der deutsche Terrorismusexperte Peter Neumann. Die Terroristen des sogenannten "Islamischen Staates" würden seit vielen Jahren mit Drohnenangriffen kokettieren, diese auch immer wieder anregen. "Aber die Abwehrsysteme sind alles andere als perfekt", befindet Neumann im STANDARD-Gespräch. "Es gibt Systeme, mit denen die Funkverbindung zwischen Drohne und Steuerung unterbrochen werden kann, das funktioniert aber nicht zu hundert Prozent zuverlässig."

Fakt ist, dass die terroristische Gefahr durch Jihadisten europaweit an sich schon so groß ist wie lange nicht mehr. Und die Terrorgruppe IS ist gerade dabei, durch potentielle Anschläge mit Drohnen ein ganz konkretes Bedrohungsszenario weiter massiv aufzubauen. (Jan Michael Marchart, Martin Tschiderer, 20.6.2024)