Herknerin, Vienna, City
Stefanie Herkner in ihrem neuen Reich. Vom Wohn- bzw. Esszimmer gibt es in einer dicken Wand eine Durchreiche in eine kleine Küche. Unter dieser: ein Ausblick auf Kochbücher. Es sind bei weitem nicht alle, die Herkner besitzt.
Nathan Murell

Das Grätzl im ersten Bezirk unweit des Stephansplatzes döst noch an diesem sonnigen Morgen. Ein Straßenkehrer fegt das Pflaster, zwei Touristen trotten verschlafen samt Rollkoffer Richtung Ringstraße. Lediglich ein paar Schwalben pfeifen recht munter am Himmel. Der Innenhof des ­Hauses, in dem die Gastwirtin Stefanie Herkner wohnt, liegt noch im Schatten.

Die steinernen Wurzeln des Gebäudes reichen bis ins 14. Jahrhundert zurück, während der zweiten Belagerung Wiens durch die Osmanen im Jahr 1683 wurde das Dach zerstört, heißt es. Das ist lange her, das Haus zeigt sich in Topform und gliedert sich als Schmuckstück in eine weite Häuserfront historischer Gebäude, von Gründerzeit bis Barock.

"Dritter Stock, ohne Lift", ruft Stefanie Herk­ner dem Besucher entgegen. Ihre Stimme hallt im alten, sich nach oben windenden Treppenhaus. Seit vier Monaten wohnt die Gastronomin hier. Ihr Gasthaus Zur Herknerin liegt im vierten Bezirk, nicht gerade um die Ecke, aber auch nicht wirklich weit weg.

Ihr neues Zuhause misst 80 Quadratmeter. Zuvor war sie 13 Jahre in Naschmarktnähe wohnhaft, in einer Studentenbude, wie sie sagt. "Aber mit Charme", setzt sie nach. Sehr dunkel sei es dort gewesen, um den Himmel zu sehen, musste sie den Kopf aus dem Fenster strecken. "Es war eine Art Bärenhöhle", beschreibt sie ihr Ex-Daheim.

Herknerin, Vienna, City
Das Entree der Wohnung ist oktogonal geformt und eine gelungene Startrampe für einen Rundgang durch Herkners Zuhause, in dem sie erst seit einigen Monaten daheim ist.
Nathan Murell

Wunsch ans Universum

Am 22. Dezember des vergangenen Jahres, einen Tag vor ihrem Geburtstag, schickte Herkner, wie sie es ausdrückt, den Wunsch nach einer neuen Wohnung ans Universum. "Es ist kaum zu glauben, ich habe noch am selben Tag eine Freundin getroffen, die meinte, von einer freien Mietwohnung gehört zu haben. Bereits am Stefanitag habe ich die Wohnung besichtigt und mich auf der Stelle in sie verliebt. Ich bin gekommen, um zu bleiben. Man spürt hier das gesamte Haus."

Noch fehlt die eine oder andere Leuchte, alles wirkt frisch und doch, als wäre Herkner längst ­angekommen. "Ich fühle mich hier irgendwie erwachsener", erzählt sie und erwähnt, dass sie die Ruhe trotz der innerstädtischen Lage jeden Tag aufs Neue überrascht. Dass es hier laut zugehen würde, war am Stefanitag ihr einziges Bedenken.

Betritt man die Bleibe, die hinter einer schweren Türe liegt, die an jene eines Tresors erinnert, landet man in einem oktogonal geformten Eingangsbereich. Es ist die geschrumpfte Variante eines großbürgerlichen Entrees. Gerade diese Verkleinerung macht dessen Charme aus. Schon der erste Blick fällt auf die kleine Küche der Bewohnerin, die sich in diesen Teil der Wohnung ­eingenistet hat. "Das passt mir wunderbar, ist die Kulinarik doch ein zentraler Teil meines Lebens. Warum also nicht auch meiner Wohnung?"

Herknerin, Vienna, City
Die andere Seite der Durchreiche bietet einen Einblick in das kleine Küchenreich Herkners, in dem sie fast jeden Tag experimentiert.
Nathan Murell

Ob sie hier jeden Tag kocht? "Fast jeden", sagt sie. "Ich sehe die kleine Küche als eine Art Experimentierlabor für Hausmannskost aus der ganzen Welt. Hier bereite ich tibetische Teigtaschen ebenso zu wie Ramen oder Speisen aus der malaysischen Küche. Zu so manchem haben mich meine Reisen inspiriert."

Die Küche wirkt einfach, fast erinnert sie ein wenig an Schütte-Lihotzkys "Frankfurter Küche". Nichts steht herum, alles scheint in Griffnähe. Wie nannte es Herkner einmal? "Die meisten Küchengeräte sind eh nur Chichi." Von der Küche aus gibt es eine Durchreiche ins Wohn- und Esszimmer, wo sich eine Kuschelinsel in Form eines Sofas ausbreitet.

Herknerin, Vienna, City
Gemütlichkeit liegt der Gastronomin am Herzen. Ihre Wohnung empfindet sie als eine Art Seelenverwandten.
Nathan Murell

Gleich vorweggesagt: Gemütlichkeit, ein cosy feeling ist Herkner wichtig. Hier vom Wohnzimmer aus, und darauf ist die Wirtin stolz, sieht sie einen Zipfel des Stephansdoms. Beim Besuch steckt er gerade in einer Wolke. Die Einrichtung ist ein Mix aus vielen Dingen und Stilen. Die 50er-, 60er- und 80er-Jahre sind hier ebenso zu Hause wie Zeitgenössischeres.

"Mir sind die Haptik, das Material und die Stoflichkeit von Dingen sehr wichtig." Auch der Parkettboden ist für sie ein hölzerner Schatz, genau wie die alten, doppelten Fenster. "Ich könnte nie mit Fensterrahmen aus Kunststoff wohnen", sagt sie in ernstem Ton. Die Einrichtung ist ihr nach der Kulinarik das Wichtigste.

Herknerin, Vienna, City
Die Möbel der Wohnung ergeben in Summe einen gut gelungenen und ebenso gewachsenen Mix vieler Stile.
Nathan Murell

Dinge mit Geschichte

Sie liebe es, sich mit schönen Dingen zu umgeben, Dingen, die ihr im Leben über den Weg gelaufen sind und Geschichten erzählen. Eine solche Geschichte erzählt zum Beispiel ein ziemlich bunt bemalter Teller, der in der Durchreiche an der Wand hängt. „Diesen Teller habe ich aus Kalabrien mitgebracht. Der alte Mann, der ihn in einer kleinen Töpferei gefertigt hat, sah aus wie Pablo Picasso und war äußerst charmant. Solche Geschichten hängt man sich doch gern an die Wand, oder?“ Wohnen, so erklärt sie weiter, empfindet sie als authentischen Ausdruck ihrer Persönlichkeit, es gehe um ein "Ich-Sein an einem Ort und um das Empfinden der Wohnung als einer Art Seelenverwandten".

Neben dem Wohnzimmer liegt ein kleines Schlafzimmer mit putzigen Augarten-Porzellan-Engerln an der Wand. Die seien zwar kitschig, liegen der Bewohnerin aber am Herzen. Ob sie ein Lieblingsobjekt in der Wohnung hat, möchte man wissen. Herkner hebt die Schultern und überlegt. Dann fällt ihr Blick auf ein Regal mit Kochbüchern unter der Durchreiche zur Küche. Sie lächelt. Frage beantwortet.

Herknerin, Vienna, City
Von diesem Zimmerchen aus geht es in das Bad, in das Ankleidezimmer und die Schuhkammer Herkners.
Nathan Murell

Biegt man vom Entree nicht nach rechts Richtung Wohnzimmer und Schlafzimmer ab, sondern schlägt einen Haken nach links, gelangt man am WC vorbei in einen 18 Schritte langen Schlauch, der auch dieser Wohnung etwas Höhlenartiges verleiht. In diesem Bereich, Herkner nennt ihn erst "Damenschlauch", dann "Beauty-Schlauch", sind das Badezimmer, eine geräumige Garderobe und eine Kammer für die Schuhe untergebracht.

Trotz der vielen Winkel und Ecken wirkt die kompakte Wohnung offen. Die Türen würden so gut wie nie geschlossen. "Ich möchte mich nicht eingekastelt fühlen", erklärt die Wirtin.

Auch auf Farben legt "die Herknerin", wie sie von manchen genannt wird, großen Wert. Jeder Raum hat eine andere Farbe, selbst die Weißtöne unterscheiden sich in Nuancen. Ansonsten reicht das Farbspektrum von Hellblau über Flamingo­rosa bis hin zu einem erdigen Rot und einem sehr gelben Gelb in der Toilette. "Wir haben sechs Stunden mit über 25 Farben probegemalt," erzählt die Gastronomin am Ende der Tour.

Herknerin, Vienna, City
Stefanie Herkner fühlt sich angekommen, in ihrer neuen Wohnung im Herzen der Stadt.
Nathan Murell

Als der Besucher wieder auf die Straße hinaustritt, ist das Grätzel erwacht. Lieferwagen verlassen die Innenstadt, Gruppen von Fremden trampeln einem roten Fähnchen nach, und zwei Gastgärten sind fertig mit blütenweißen Tischdecken und kleinen Blumenvasen gedeckt. Das ist gut so, denn nach einem Besuch bei Stefanie Herkner liegt es durchaus im Bereich des Möglichen, von einem ein kleinen Hüngerlein geplagt zu werden.

(RONDO Exklusiv, Michael Hausenblas, 25.6.2024)