Homöopathische Globuli gegen Blähungen, die Babys plagen, findet man zuhauf. Der Homöopathiehersteller Heel vermarktet derlei unter dem süßen Namen "Flatulini".

Besonders achtsame Eltern mögen aber nichts von der Stange von Pharmaunternehmen. Sie werden im Portfolio innovativer Apotheken fündig und finden: Homöopathische, individuelle Globulis, die aus der Plazenta der soeben niedergekommenen Mutter gefertigt werden. Die Stiftung Gurutest meint: Das ist esoterisches Mutterbauchgefühl zum Naschen und nicht ganz ernst zu nehmen. Eine Apotheke in Wien nimmt das etwas ernster. Auf der Webseite erfahren wir, dass Plazenta-Globuli gegen allerlei Unpässlichkeiten beim Baby und bei der Mutter indiziert sind: Koliken, Hauterkrankungen, Stress, Zyklusstörungen und vieles mehr.

Das Prozedere ist einfach: Man schickt der Apotheke ein haselnussgroßes Stück der frischen Plazenta, eingelegt in Glyzerin in einem Fläschchen. Das etikettiert man mit dem Namen und dem Geburtsdatum des neuen Erdenbürgers. Herr oder Frau Magister fertigen daraus die homöopathischen Globuli – wir vermuten ganz lege artis – mit viel Schütteln Richtung Erdmittelpunkt und ganz starkem Verdünnen der Substanz. So erhielt eine Apotheke Mitte Juni ein Fläschchen Inhalt mit der Aufschrift "Patricia, geboren am 13. Juni 2024 um 21 Uhr 50, im Sternzeichen des Zwillings von der Mutter Annika" und mit Inhalt.

Mitmach-Pharmazie regt die Fantasie an

Um den rankt die Sache: Die Apotheke schüttelte Mitte Juni nicht ein Stück der Plazenta einer angeblichen Mutter einer angeblichen Patricia. Das hat drei Gründe. Erstens: Die Stiftung Gurutest hat derzeit keinen Zugriff auf frischen Mutterkuchen. Zweitens: Der Stiftung Gurutest sitzt hie und da der Schalk im Nacken und sie kann dem so tollen Angebot einer Apotheke zur Mitmachmedizin nicht widerstehen. Drittens: Die Stiftung kennt einen Fleischhauer, der ein feines Schweinsbeuschel im Angebot hat.

Christian Kreil hält ein Stück Schweinsbeuschel in Händen
In der Apotheke wurden ein paar Gramm Schweinsbeuschel zu Zucker verschüttelt und mit einem Kilopreis von 3500 Euro veredelt.
Christian Kreil

Statt Plazenta ein Stück Schweinsbeuschel

Machen wir es kurz: Die Apotheke unseres Vertrauens erhielt von der Stiftung Gurutest kein Stück Plazenta, sondern ein kleines Stück vom Schweinsbeuschel zugesandt, um daraus eine Arznei zuzubereiten. Bei der Eingangskontrolle der Apotheke gibt es offenkundig ein paar Schwachstellen, was die Rohstoffe für zubereitete Medizinen betrifft. Der Apotheke wurde die Schweinslunge im Fläschchen per Post zur Verarbeitung zugesandt, allfällige Rückfragen gab es nicht. Den Unterschied zwischen einem menschlichen Mutterkuchen und einem Stück Schweinsbeuschel lernen angehende Pharmazeuten an den Universitäten offenbar nicht.

Globuli gegen allerlei Unpässlichkeiten

Die Stiftung Gurutest orderte von der Apotheke zehn Gramm Plazenta-Globuli gegen Koliken und Blähungen in der "Potenz D 12". Die "Potenz D12" in anschaulicher Weise erklärt: D 12 entspricht der Verdünnung eines Gramms einer Substanz in der Wassermenge von 400 olympischen Schwimmbecken. Mit derlei Hauchen einer Substanz "imprägnieren" Homöopathiehersteller oder Apotheken Zuckerkügelchen, um die "Information" einer Substanz für den Patienten nutzbar zu machen. Zehn Gramm der vermeintlichen Eigenplazenta-Kügelchen kosten die Stiftung Gurutest 35 Euro. Mit anderen Worten: In der Apotheke wurden ein paar Gramm Schweinsbeuschel zu Zucker verschüttelt und mit einem Kilopreis von 3.500 Euro veredelt. Ein paar Tage nach der Versendung der schweinischen Innerei kam die Meldung von der Apotheke: Die Arznei sei abholbereit.

Christian Kreil mit einem Fläschchen Globuli
Plazenta-Globuli würden von Hebammen empfohlen und von Müttern gewünscht, teilt die Geschäftsführerin der Apotheke per E-Mail mit.
Christian Kreil

Das Fläschchen wurde von der Stiftung Gurutest persönlich in der Apotheke abgeholt. Der Angestellte, der das Fläschchen aushändigt, ist freundlich, jedoch schmähstad, als ihn die Stiftung Gurutest mit der Sache konfrontiert. Die ihm vorgelegten Fotos vom Portionieren und Versenden des Schweinsbeuschels lässt er flugs und verdutzt in den Papierkorb gleiten. Maria L., die Geschäftsführerin der Apotheke, meldet sich ein paar Stunden später. Plazenta-Globuli würden von Hebammen empfohlen und von Müttern gewünscht, teilt sie per E-Mail mit: "Ob das eingesandte Gewebe von einem Menschen oder einem Tier stammt, überprüfen wir nicht, da dies mit bloßem Auge nicht erkennbar ist." Ganz umsonst war der Versuch der Stiftung Gurutest nicht. L. teilt uns mit: "Ihr Besuch gibt mir Anlass, diese spezielle Dienstleistung einzustellen."

Zugelassene und registrierte homöopathische Arzneimittel

Auf die Apotheke könnte noch etwas Ungemach zukommen. Die Eigenplazenta-Globuli werden auf der Webseite der Apotheke mit klaren Angaben zu Indikationen und jeweiligen Dosierungen für Kind oder Mutter beworben. Hier müssen wir ein wenig tiefer in die verwirrende und kaum bekannte Gesetzeslage rund um Homöopathika eintauchen. Die Angabe von Indikationen ist nur für "zugelassene homöopathische Arzneimittel" erlaubt. Derlei Mittel müssen den Nachweis einer "spezifischen homöopathischen Wirksamkeit" erbringen. Davon werden "registrierte homöopathische Arzneispezialitäten" unterschieden. Für diese Mittel dürfen keine Indikationen angeführt werden. Die Verdünnung muss zudem so stark sein, dass die Unbedenklichkeit der Arzneispezialität gewährleistet ist.

Absurde Rechtslage spielt den Vermarktern von Humbug in die Hände

Dem Laien sind derlei Spitzfindigkeiten kaum bekannt. Diese Unterscheidung in scheinbar "seriöse" – zugelassene – und "ein bisserl weniger seriöse" – bloß registrierte – Homöopathika ist Teil der Chuzpe, mit der eine Branche uns alle zum Narren hält. Die "spezifische Wirksamkeit" für eine Zulassung muss nämlich nicht auf Studien und klinischen Prüfungen und Daten beruhen, es reichen die vom Hersteller gemachten Beobachtungen und Annahmen. Mit anderen Worten: Wenn die in den zuständigen Gremien vertretenen Hersteller Stein und Bein schwören, dass ein homöopathisches Mittel gegen ein Leid wirkt, wird es zugelassen. Das alles geschieht unter den Augen des Gesetzgebers, der Pharmaunternehmen und Apotheken damit einen Freibrief für die Vermarktung und Verkauf von Humbug ausstellt. Man könnte es auch so sagen: Für Vanillejoghurt oder für Kinderknetmasse im Supermarkt gelten strengere Zulassungsregeln als für Homöopathika in der Apotheke.

Apothekerkammer rät von Mitteln aus Körpergewebe und -säften ab

Die Apothekerkammer findet die Sache mit den Spaßglobulis aus Körperteilen, -organen oder -säften aus zwei Gründen problematisch. Erstens: Das Hantieren mit und das Verarbeiten von Gewebe bedarf einer speziellen Bewilligung. Zweitens: Produkte wie Muttermilch- oder -Plazentanosoden widersprechen der derzeitigen medizinisch-wissenschaftlichen Evidenz. Ein Sprecher der Kammer: "Aus unserer Sicht sollte daher die Herstellung derartiger Produkte auch verweigert werden, selbst wenn diese aufgrund einer ärztlichen Verschreibung erfolgen sollte."

Hochpotenzen mildern den Ekel vor den Ausgangsprodukten

Fakt ist: Globuli oder Lösungen mit homöopathischen Hochpotenzen enthalten – egal ob "zugelassen" oder "registriert" – schlichtweg keine Wirkstoffe. Sogenannte Niedrigpotenzen, in denen der Ausgangsstoff analytisch noch nachweisbar wäre – das gilt bei einer Verdünnung bis zu etwa 1 zu 1 Million – spielen am Markt kaum eine Rolle. Das kommt nicht von ungefähr. Um toxische oder ekelerregende Ausgangssubstanzen wie Hundekot oder Kakerlaken oder schlichtweg absurde Substanzen wie Kugelblitz muss sich niemand Gedanken machen – weder die Globuliindustrie, die Ärzte, die Apotheken noch die Patienten. Homöopathische Hochpotenzen sind reine Spaßprodukte in Zuckerkugelform. Dass sie in der Apotheke zu beziehen sind und nicht im Drogeriemarkt im Regal zwischen Müsliriegeln und Gummibärchen zur Entnahme bereitliegen, ist Teil einer politisch akzeptierten Irreführung – wenn nicht eines Betrugs – an der Bevölkerung.

Nicht die "Plazenta-Globuli" sind absurd, die Homöopathie ist es

Die Stiftung Gurutest entschuldigt sich an dieser Stelle bei der Apotheke für die Vorführung. Das Angebot mit der Plazenta war einfach zu verlockend für einen Feldversuch. Das kleine Experiment veranschaulicht die Absurdität der Fake-Medizin Homöopathie einfach perfekt. Es ist der Stiftung wichtig, zu betonen: Das bizarre Angebot, Plazenta-Globuli zu fertigen, ohne die maßgebliche Substanz zu prüfen, ist nicht mehr und nicht weniger absurd als alle homöopathischen Angebote. Es ist schlichtweg immer Humbug. Es ist völlig gleichgültig, ob eine Apotheke eine Schweinslunge, eine tatsächliche Plazenta, Erdnussbutter, Papiemaché, Hundekot oder Aloe vera homöopathisch verarbeitet, oder ob sie wirkstofflose homöopathische Mittel der Pharmaindustrie vertreibt. Es ist nie etwas drinnen von dem, was draufsteht und daher kann auch nichts wirken, von dem, was draufsteht. Ob Mutterkuchen oder Schweinsbeuschel draufsteht und nicht drinnen ist, ist dabei völlig einerlei. (Christian Kreil, 21.6.2024)