Der ehemalige grüne Abgeordnete Clemens Stammler widerspricht nun öffentlich den Äußerungen der grünen Parteispitze rund um seinen Rücktritt. Stammler sagt: "Ich habe lange geschwiegen, auch aus Loyalität gegenüber den Grünen, aber jetzt ist der Punkt erreicht, an dem ich mich verteidigen muss."

Stammler legte vergangenen Oktober alle seine politischen Ämter nieder, nachdem er vor einem Club in Wien einen Journalisten tätlich angegriffen hatte.

Lena Schilling und Klubobfrau Sigrid Maurer bei einer Pressekonferenz am Mittwoch.
Heribert Corn

"Profil" hatte den Vorfall recherchiert und die Grünen damit konfrontiert. In der Berichterstattung hieß es damals, Stammler habe eine "junge Frau, die ebenfalls das U4 verlassen hatte, belästigt". Daraufhin sei ein Journalist "der Frau – sie arbeitet für eine NGO – zu Hilfe" geeilt – und die Situation eskalierte. Wie man heute weiß, war mit der "NGO-Mitarbeiterin" Lena Schilling gemeint.

Für alle Beteiligten ist klar, dass ein Rücktritt nach der Handgreiflichkeit unvermeidlich war. Stammler spricht selbst vom "größten Fehler meines Lebens".

"Ursache für die ganze Auseinandersetzung"

Er kritisiert allerdings scharf, dass die grüne Klubspitze nicht die Belästigungsvorwürfe aufzuklären versuchte, die, wie er sagt, "ja Ursache für die gesamte Auseinandersetzung waren". So habe Schilling ihn zur Feier eingeladen, aber vor Ort anderen Clubgästen erzählt, sie werde von Stammler bedrängt, wie mehrere Anwesende dem STANDARD bestätigen.

Laut mehreren Abgeordneten habe Sigrid Maurer in einer Sitzung zu Stammlers Rücktritt nicht offengelegt, dass es sich bei der angeblich belästigten Frau um Schilling gehandelt habe, die damals schon gut im grünen Klub vernetzt war.

Maurer habe sich schützend vor Schilling gestellt anstatt vor ihren Abgeordneten, sagen mehrere Grüne.

"Schillings Name aus der Geschichte gehalten"

Maurer betont mittlerweile, etwa auf X, vormals Twitter: In der Klubsitzung zum Thema habe sie "explizit darauf verwiesen, dass es keinen solchen Vorwurf" gebe. "Es gab und gibt keinen Belästigungsvorwurf gegen Clemens Stammler, ein solcher wurde auch nie behauptet." Die grüne Generalsekretärin Olga Voglauer sagte zu Oe24: "Die Behauptung, Clemens Stammler wäre wegen Belästigungsvorwürfen zurückgetreten, ist schlicht falsch. Unsererseits wurde nie behauptet, Clemens Stammler hätte jemanden belästigt."

Stammler selbst hat die Situation offenbar anders in Erinnerung: "Sigi Maurer hat recht mit ihrer Behauptung, dass es nie eine Belästigung meinerseits gab. Was es allerdings schon gab, waren die Belästigungsvorwürfe."

Anstatt diesbezüglich für Aufklärung zu sorgen, sei "alles getan" worden, "um Schillings Namen aus der Geschichte zu halten", erklärt Stammler in einem Statement, das mehreren Medien vorliegt. Er sei im Gespräch mit seiner Anwältin und prüfe "die Optionen".

Nicht der einzige Belästigungsvorwurf

Sein Fall erhält neue Brisanz, weil Schilling auch einem Journalisten Belästigung vorgeworfen haben soll – gegenüber Abgeordneten, Freunden und dessen Kollegen. Bei seinem Arbeitgeber sei es daraufhin zu einer Untersuchung gekommen, bei der kein relevantes Fehlverhalten festgestellt wurde.

Auch er erwägt rechtliche Schritte, nachdem Grünen-Chef und Vizekanzler Werner Kogler einen STANDARD-Bericht über den Fall als "anonymes Gefurze" bezeichnet hat.

Für zusätzlichen Wirbel sorgt, dass Schilling nicht nur über Journalisten und Mitstreiterinnen in der Klimabewegung, sondern auch über grüne Kolleginnen Gerüchte verbreitet haben soll – etwa über Klubchefin Maurer, die Schilling bislang in voller Loyalität stützte.

Schilling: Maurer habe sie "unangenehm bedrängt"

Maurer wurden von Schilling diverse Affären angedichtet – mit anderen Grünen-Politikern und Journalisten. Zudem behauptete Schilling laut mehreren Personen, Maurer habe sie in jener Phase, als sich Schillings Spitzenkandidatur abgezeichnet habe, unangenehm und übergriffig bedrängt. Das habe Schilling Freunden, Journalisten und selbst grünen Abgeordneten erzählt. Dazu liegen dem STANDARD mehrere schriftliche Beglaubigungen der Informanten vor. Die Personen betonen, dass sie die Vorwürfe gegen Maurer für unwahr halten.

Eine Anfrage, ob Schilling diese Äußerungen bestreite, blieb von ihr unbeantwortet. Auch die Grünen reagierten nicht auf die Frage, was sie zu den mutmaßlich durch Schilling geäußerten Vorwürfen gegen ihre Klubobfrau sagen.

Erst nach Veröffentlichung dieses Artikels sagte Schilling auf X, sie habe "nie behauptet, dass Sigi Maurer mir gegenüber übergriffig war. Sie ist eine gute Freundin". Aber sie habe Gerüchte über Affären "ohne groß nachzudenken weitererzählt", da sei sie "kein Stück besser als andere" und sie habe es "sicher nicht mit böser Absicht getan".

Durch all das steigt die Anspannung im grünen Klub. Einige Abgeordnete fühlen sich durch das aktuelle Krisenmanagement an die Vorgänge im Jahr 2017 erinnert, als die grüne Parteijugend im Streit mit der damaligen Parteichefin Eva Glawischnig geschlossen zurücktrat und der langjährige Mandatar Peter Pilz die Grünen verließ, um mit einer eigenen Liste anzutreten. Später, nach Pilz' Umzug ins Parlament, wurden Belästigungsvorwürfe gegen ihn publik. Damals verpassten die Grünen den Einzug in den Nationalrat, es folgten zwei bittere Jahre in außerparlamentarischer Opposition. (Katharina Mittelstaedt, Fabian Schmid, 10.5.2024)

Video: Vorwürfe gegen Lena Schilling: Grüne in Erklärungsnot
DER STANDARD/APA